Die Umarmung des Todes - Kirino, N: Umarmung des Todes - Out
Realitätssinn schwand. Es schien ihr mit einem Mal völlig gegen den menschlichen Instinkt zu sein, eine Leiche zu betrachten, sie anzufassen.
Yoshië hatte offenbar denselben Gedanken, denn plötzlich fragte sie scheu: »Hör mal, mir graut davor, ihn mit bloßen Händen anzufassen. Hast du keine Handschuhe?«
Masako fielen die Wegwerf-Handschuhe wieder ein, die sie sich in der Fabrik besorgt hatte. Sie ging sie holen und brachte auch gleich die beiden Vinyl-Schürzen mit. Inzwischen hatte Yoshië die Krawatte fein säuberlich gefaltet und war nun dabei, die Knöpfe von Kenjis Hemd einzeln von unten nach oben aufzuknöpfen. Masako reichte ihr die Handschuhe, zog sich selbst welche an und begann, ihm die Hose vom Saum aufwärts aufzuschneiden. Bald war Kenji nackt. Auf der Seite seines Körpers, auf der er im Kofferraum gelegen und sich das Blut gestaut hatte, waren violette Flecken zu sehen.
Mit Blick auf sein verschrumpeltes Glied murmelte Yoshië: »Damals, als mein Mann gestorben ist, habe ich ihn auch so ausgezogen und gewaschen, weißt du. Ob Yama-chan ihn wirklich nicht noch einmal sehen muss – seinen letzten Anblick, zum Abschied, meine ich? Ob es wirklich richtig ist, dass wir das hier machen?« Dabei hielt sie die Plastikschürze in der Hand.
Masako war Yoshiës Gefühlsduselei langsam leid: »Ja doch! Sie hat es so gewollt, das hat sie selbst gesagt. Wenn sie später Gewissensbisse bekommt oder was weiß ich, ist das ihr Problem!«
Yoshië schaute sie mit ängstlichen Augen an und stieß einen langen Seufzer aus.
Das reizte Masako so, dass sie mit Absicht sagte: »Lass uns zuerst den Kopf abmachen. Es ist unangenehm, wenn man sein Gesicht sehen kann, das stößt einen schon rein physisch ab.«
»Stößt einen physisch ab... wie du dich wieder ausdrückst!«
»Hätte ich sagen sollen, dann trifft uns die Strafe Gottes?«
»Nein, das nicht, aber...«
»Na, dann zeig mal, was du kannst, Meisterin!«
»Um Himmels willen, nein!« Yoshië war entsetzt. »Ich kann das nicht, das hab ich doch gesagt!«
Es würde eine Knochenarbeit sein, die Leiche alleine zu zerlegen. Deshalb wollte sie Yoshië unbedingt dazu bringen, dass sie ihr half. Masako hatte schon einen Plan: »Yama-chan hat gesagt, dass sie sich erkenntlich zeigen will, wir können also Geld verlangen. Na, wie sieht’s aus, machst du dann mit?«
Yoshië stutzte und hob den Kopf. In ihren leeren Augen machte sich Verlegenheit breit.
»Ich hab ihr Angebot zwar abgelehnt, aber je länger ich darüber
nachdenke, wäre es vielleicht doch besser, es anzunehmen. Eine Bezahlung macht die Sache in jedem Fall geschäftsmäßiger.«
»Um wie viel handelt es sich denn ungefähr?«, fragte Yoshië mit leiser Stimme, während sie angewidert in Kenjis glanzlose Augen mit den erweiterten Pupillen blickte.
»Wie viel willst du? Ich handele es für dich aus.«
»So hunderttausend?«
»Viel zu wenig. Wie wäre es mit fünfhunderttausend?«
»Wenn ich die hätte, könnte ich ja vielleicht umziehen...«, murmelte Yoshië. »Du willst mich ködern, nicht? Deshalb wedelst du mir mit dem Geld vor der Nase herum, stimmt’s?«
Genauso war es. Doch Masako antwortete nicht, sondern setzte sicherheitshalber noch einen drauf: »Hilf mir doch, Meisterin! Ich bitte dich!«
»Also gut, ich mach’s. Du lässt mich ja doch nicht mehr gehen!« Yoshië schien so verzweifelt Geld zu brauchen, dass sie sich letztlich doch mit dem Gedanken abfand. Sie band sich die Plastikschürze um, zog ihre weißen Socken aus und krempelte sich routiniert die Jersey-Hose hoch. »Du wirst dir alles blutig machen. Zieh deine Hose besser aus.«
Folgsam zog sich Masako die Jeans aus und trat vom Bad in den Vorraum, wo sie den Wäschekorb nach ihrer kurzen Hose durchwühlte. Während sie sie anzog, fiel ihr Blick in den Spiegel vor sich: Sie hatte sich noch nie mit einem so finster entschlossenen Gesichtsausdruck gesehen. Sie wandte sich zu Yoshië um, die im Gegensatz dazu ein vollkommen ratloses, verwirrtes Gesicht machte.
Als sie wieder im Bad war, inspizierte sie Kenjis Hals, um herauszufinden, an welcher Stelle sie die Säge ansetzen sollte. Widerwillig fiel ihr sein großer Adamsapfel ins Auge, der sie an den von Nobuki erinnerte, wie er sich heute Morgen so kraftvoll auf und ab bewegt hatte. Masako wischte das Bild weg und fragte Yoshië: »Ob sich der Kopf wohl am besten mit einer Säge abtrennen lässt?«
»Eine Säge frisst sich ins Fleisch, deshalb wird es besser sein,
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