Die Umarmung des Todes - Kirino, N: Umarmung des Todes - Out
sie bald darauf im Stau stecken.
Wie sollte es denn jetzt bloß weitergehen? Kuniko spähte durch die wenigen freien Stellen der wegen des schlecht funktionierenden Gebläses beschlagenen Windschutzscheibe auf die Straße hinaus und seufzte. Die Ausweglosigkeit ihrer Situation machte sie wahnsinnig.
Als sie am frühen Morgen von der Nachtschicht nach Hause gekommen war, hatte sie das Bett leer vorgefunden. Von Tetsuya keine Spur, auch sonst in der Wohnung nicht. Offenbar hatte er aus Wut wegen ihrer ständigen Kräche irgendwo anders übernachtet. Pah, sollte er doch, konnte ihr sowieso gestohlen bleiben, der Blödmann, hatte sie sich getröstet und war früh ins Bett gekrochen, doch als sie gerade eindösen wollte, klingelte das Telefon. Um sieben Uhr morgens!
Schlecht gelaunt meldete sich Kuniko, und der Mann am anderen Ende sagte mit ausgesuchter Höflichkeit: »Spreche ich mit Frau Kuniko Jōnouchi? Bitte verzeihen Sie die frühe Störung!«
»Ja, ja. Was gibt’s?«
»Hier ist das Verbraucherzentrum Million.«
Fast hätte Kuniko aufgeschrien, ihre Müdigkeit war wie weggeblasen. Wie hatte sie nur so etwas Wichtiges vergessen können?! Sie verfluchte sich selbst, während der Mann ungerührt seinen üblichen Text abspulte: »Sicher wird es nur Ihrer Aufmerksamkeit entgangen sein, deshalb möchte ich Sie telefonisch daran erinnern, dass am Zwanzigsten, also gestern, die Frist für Ihre monatliche Rate abgelaufen ist, ohne dass auf unserem Konto eine Zahlung eingegangen wäre. Wie Ihnen sicherlich bekannt sein dürfte,
beläuft sich die vierte Rate auf fünfundfünfzigtausendzweihundert Yen. Falls Sie die Summe nicht im Verlaufe des heutigen Tages überweisen, sehen wir uns leider gezwungen, Verzugszinsen zu erheben, deshalb möchte ich Sie dringend um Begleichung ersuchen. Haben Sie vielen Dank für Ihr Verständnis, und verzeihen Sie nochmals die frühe Störung!«
Es war der Geldverleiher vom Bahnhofsviertel, ein Kredithai. Neben dem Darlehen für ihr Auto war die Summe, die sie im Laufe der Zeit über ihre Kreditkarte aufgenommen hatte, so stark angeschwollen, dass Kuniko bereits mehrere Jahre den Rückzahlungen hinterherjagte. Im letzten Jahr war ihr dann aufgefallen, dass sie nur noch die Zinsen beglich, ohne dass sich die Kreditsumme verringerte. Als sie selbst damit in Verzug geraten war, hatte sie wie verrückt Verbraucherkredite aufgenommen und damit mit Ach und Krach die Zinsen begleichen können, doch nun bedrängten sie natürlich auch noch die Rückzahlungsforderungen der Konsumkreditfirmen. Es kam, wie es kommen musste: Die doppelte Verschuldung führte irgendwann dazu, dass sie sowohl von der Kreditkartengesellschaft als auch von den Konsumkreditfirmen auf die schwarze Liste gesetzt und mit Mahnungen überhäuft wurde.
In dieser hoffnungslosen Lage hatte sie auf der Einkaufsstraße den schönen Werbespruch eines Geldverleihers gesehen: »Leiden Sie unter Ihren monatlichen Rechnungen? Wir bieten schnelles Geld für eilige Leute!«, hatte sich dort Hals über Kopf Geld geliehen und war damit endgültig in die Tretmühle geraten. »Ihre Lage ist ja wirklich unzumutbar!«, hatte die ältere Frau in dem Büro scheinheilig freundlich zu ihr gesagt und ihr nur gegen Vorlage ihres Führerscheins und unter Angabe des Firmennamens ihres Mannes einen Kredit über dreihunderttausend Yen gewährt. Damit hatte sie so gerade die aufgelaufenen Zinsen bei der Kreditkartengesellschaft und den Konsumkreditfirmen bedienen können, doch nun türmten sich die Schulden bei dem Geldverleiher.
Kein Wunder, denn sie hatte nicht im Traum damit gerechnet, dass man ihr, wie es in dieser Branche üblich war, für eine Kreditsumme von nur dreihunderttausend Yen vierzig Prozent Zinsen abnehmen würde. Sie lebte immer von jetzt auf gleich, dachte keinen Schritt voraus und scherte sich nicht um die Folgen ihres
Handelns. Tetsuya hatte ihr aus der Patsche geholfen, und als sie das Geld zurückzahlen ging, hatte die Frau ihr sofort ein neues Angebot gemacht: »Wir können Ihnen fünfhunderttausend zur Verfügung stellen«. Und natürlich hatte Kuniko die Hand aufgehalten.
Sie schaute in die Keksdose mit dem Haushaltsgeld. Es war nur noch etwas Kleingeld darin. Merkwürdig, wie habe ich das so schnell ausgeben können, dachte sie misstrauisch, griff in ihre Handtasche und holte ihr Portemonnaie – ein Gucci-Imitat – heraus. So kurz vor dem Zahltag waren nur noch ein Zehntausender und ein paar Tausend-Yen-Scheine
Weitere Kostenlose Bücher