Die Umarmung des Todes - Kirino, N: Umarmung des Todes - Out
Lederportemonnaie, einen Schlüsselbund, eine Monatskarte, etwas Kleingeld.
Masako untersuchte den Inhalt des Portemonnaies. Es enthielt einige Kreditkarten und etwa dreißigtausend Yen in bar. Bei den Schlüsseln dürfte es sich um die zu Yayois Haus handeln. »Wir müssen das alles spurlos verschwinden lassen.«
»Was machen wir mit dem Geld?«
»Das kannst du haben.«
»Aber eigentlich gehört es doch Yama-chan«, sagte Yoshië und fügte wie zu sich selbst hinzu: »Aber macht man das... es der Ehefrau zurückgeben, die ihn umgebracht hat? Nein, das sähe auch merkwürdig aus...«
»Genau. Betrachte das Geld doch als Lohn für deine Arbeit.« Ein Ausdruck der Erleichterung erschien auf Yoshiës Gesicht. Masako packte den Schlüsselbund, das Etui mit der Monatskarte, in dem sich auch der Firmenausweis befand, das leere Portemonnaie und die Kreditkarten in einen kleinen Plastikbeutel. Hier in der Umgebung gab es viele Felder und brachliegende Grundstücke, dort konnte sie die Sachen unauffällig vergraben und verschwinden lassen.
Yoshië steckte sich mit bedauernder Miene das Bargeld in die Hosentasche. Dann sagte sie ehrlich betrübt: »Der Arme, hat immer noch die Krawatte so fest um den Hals gebunden, wo er doch erwürgt worden ist! Zu traurig!«, und machte sich daran, Kenjis Krawattenknoten aufzubinden. Der Knoten hatte sich anscheinend fest zugezogen – es dauerte endlos. Masako verlor die Geduld.
»Lass das, für solche Sperenzchen haben wir keine Zeit! Es kann immer jemand früher nach Hause kommen, man weiß nie! Schneid sie doch einfach mit der Schere durch!«
»Hast du denn gar keinen Anstand, keinen Respekt vor den Toten?«, erzürnte sich Yoshië. »Du benimmst dich ja wie eine Bestie! Nie im Leben hätte ich das von dir erwartet, wirklich nicht!«
»Respekt vor den Toten?«, gab Masako zurück, während sie Kenji die Schuhe auszog und in einen Plastikbeutel verstaute. »Das ist nichts weiter als ein Ding, so sehe ich das!«
»Ein Ding! Was redest du denn da? Das ist ein Mensch!«
»Es war mal ein Mensch, aber jetzt ist es ein Ding. Ich habe mich entschlossen, es so zu sehen.«
»Das ist falsch.« Masako hatte Yoshië noch nie so empört erlebt. Ihre Stimme bebte. »Und was ist dann die Schwiegermutter, um die ich mich kümmere?«
»Sie lebt ja noch, also ist sie ein Mensch.«
»Nein. Wenn dieser Mann hier ein Ding ist, dann ist auch die Schwiegermutter zu Hause eins. Dann sind wir alle nur Dinge, wie wir da sind, alle. Einen Unterschied gibt es nämlich nicht!«
Vielleicht hatte sie Recht. Masako fühlte sich durch Yoshiës Worte getroffen, und ihr fiel wieder ein, was sie frühmorgens gedacht hatte, als sie auf dem Parkplatz ihren Kofferraum aufschloss. Ein neuer Tag war angebrochen, es regnete, sie selbst lebte, veränderte
sich. Aber die Leiche war gleich geblieben. Deshalb hatte sie versucht, sie einfach als Ding zu betrachten. Ein bequemer, aus Angst geborener Gedanke.
Yoshië redete weiter: »Deshalb ist es falsch von dir zu denken, ein Mensch wäre nur lebendig ein Mensch und eine Leiche wäre ein Ding. Das ist anmaßend!«
»Ja, du hast Recht. Es wäre mir dann nur leichter gefallen.«
»Wieso?«
»Ich hatte Angst, deshalb hab ich mir einzureden versucht, es wäre nur ein Ding, aber vielleicht geht es auch so, vielleicht bin ich ja auch dazu fähig, wenn ich weiß, dass es sich um einen Menschen wie mich selbst handelt.«
»Wozu fähig?«
»Ihn zu zerstückeln.«
»Aber wieso um Himmels willen! Ich verstehe einfach nicht, warum du das unbedingt tun willst!«, schrie Yoshië. »Du wirst bestraft! Wir werden alle beide bestraft! Die Strafe Gottes wird uns treffen!«
»Das ist mir egal.«
»Wieso? Wieso ist dir das egal?!«
Weil sie wissen wollte, wie es war, wenn einen die Strafe Gottes traf, weil sie genau diese Erfahrung machen wollte. Ein Mensch wie Yoshië würde diesen Wunsch, würde das Gefühl, das sie so weit gebracht hatte, sowieso nicht verstehen. Masako antwortete nicht, sondern machte sich daran, Kenji die schwarzen Socken auszuziehen.
Die Haut der Leiche fühlte sich so kalt an, dass ihr schauderte, als sie sie zum ersten Mal mit bloßen Händen berührte. Ob sie wirklich dazu fähig war, diesen toten Körper zu zerstückeln? Es würde reichlich Blut geben, die Eingeweide würden hervorquellen – eine widerwärtige Angelegenheit. Plötzlich welkte die Stimmung des Morgens, sich selbst auf die Probe stellen zu wollen, dahin. Sie bekam Herzklopfen, ihr
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