Die Umarmung des Todes - Kirino, N: Umarmung des Todes - Out
sie bestimmt nicht eingerichtet, tröstete sich Kuniko, die ja immerhin als Bittstellerin gekommen war.
Gegenüber wurde wohl gerade ein Feld in Bauland umgewandelt. Kuniko parkte ihr Auto neben einem der Lehmhaufen, die dort aufgeschüttet waren, und ging auf Masakos Haus zu. Vor der Tür stand ein Fahrrad, das ihr bekannt vorkam.
Die Meisterin! Die Meisterin war bei Masako. Offensichtlich war Yoshië ihr gerade zuvorgekommen, um bei Masako abzukassieren, schloss Kuniko voreilig und wurde hektisch. Yoshië brauchte das Geld bestimmt nicht so bitter nötig wie sie – die Meisterin musste schließlich heute keine letzte Zahlungsfrist einhalten! Da würde sie Masako doch wohl bitten können, ihr, Kuniko, das Geld zuerst zu geben! Ja, das würde sie tun, so würde sie es formulieren.
Kuniko klingelte. Die Gegensprechanlage blieb still. Sie klingelte wieder und wieder, aber im Haus rührte sich nichts. Ob sie weggegangen waren? Aber dann stünde doch Masakos Corolla nicht vor der Tür! Und Yoshiës Fahrrad! Merkwürdig. Ob die beiden sich hingelegt hatten und schliefen? Sogar auf diesen Gedanken kam Kuniko, weil sie selbst völlig übermüdet war. Nein, Yoshië hatte doch die bettlägerige Schwiegermutter zu Hause, da konnte sie unmöglich ihre Zeit damit vertrödeln, bei jemand anderem ein Nickerchen zu halten!
Misstrauisch geworden lief Kuniko mit aufgespanntem Schirm ums Haus. Vom Garten aus konnte sie in den Raum jenseits der Veranda hineinsehen, vermutlich das Wohnzimmer – dort war alles düster und still. Aber ganz hinten im Flur brannte Licht, das konnte sie durch die Spitzengardinen gerade noch erkennen. Vielleicht waren sie irgendwo da hinten und hatten die Klingel nicht gehört.
Sie ging zur Haustür zurück und versuchte es diesmal von der anderen Seite her. Ein Fenster auf der hinteren Hausseite war erleuchtet, offenbar das Bad. Als sie näher kam, hörte sie die gedämpften Stimmen von Masako und Yoshië. Was in aller Welt trieben sie denn da? Sie schob die Hand durch das Fenstergitter aus Aluminium und klopfte an die Scheibe.
»Hallo, ich bin’s, Kuniko.«
Hinter der Scheibe war plötzlich alles still.
»Entschuldige bitte, Masako, dass ich einfach so vorbeigekommen bin, aber ich habe eine kleine Bitte an dich. Die Meisterin ist auch da, nicht wahr?«
Wieder blieb es eine Weile still, dann ging urplötzlich das Fenster auf, und Masakos Gesicht erschien mit finsterer Miene.
»Was machst du hier, was willst du?«
»Ich möchte dich um einen Gefallen bitten.«
Kuniko bemühte sich nach Kräften, ihre Stimme möglichst hilflos und liebenswürdig klingen zu lassen. Sie musste Masakos Mitleid erregen, damit sie ihr das Geld lieh. Allermindestens fünfundfünfzigtausendzweihundert Yen, aber sie brauchte dringend mehr, um über die Runden zu kommen – wovon sollte sie denn leben?
»Was?«
»Das kann ich hier schlecht sagen...« Kuniko wandte ihren Kopf zum eng angrenzenden Nachbarhaus um. Direkt hinter ihr lag offenbar die dortige Toilette, das kleine Fenster stand einen Spalt offen.
»Im Moment ist es schlecht, ich bin beschäftigt. Nun sag schon!«, drängte Masako sie ungeduldig.
»Aber...« Erst jetzt kam es Kuniko wirklich verdächtig vor, was Masako und Yoshië da drinnen trieben. Ein leicht süßlicher, roher, unangenehmer Geruch drang schwach zu ihr nach draußen.
Als sie die Nasenflügel hob, wollte Masako das Fenster schon zuschlagen.
»Warte doch, bitte, Masako!« Verzweifelt drückte Kuniko von außen gegen die Scheibe. Sie durfte nicht locker lassen, sie musste Masako einfach dazu bringen, sie anzuhören. »Ich sitze fürchterlich in der Klemme, wirklich!«
»Ja, ja, verstehe. Geh schon zur Haustür, ich mach dir gleich auf.« Ob es ihr unangenehm war, dass man Kunikos Stimme in der Nachbarschaft hörte? Kuniko fiel jedenfalls ein Stein vom Herzen, als Masako sich geschlagen gab. Sie atmete auf, doch da war ihr Blick schon durch den Spalt ins Badinnere gefallen, für einen winzigen Moment nur, bevor das Fenster ihr vor der Nase zugeschlagen wurde. Sie hatte dort etwas höchst Merkwürdiges gesehen, und ihr Herz fing wie wild zu klopfen an. Etwas, das aussah wie Fleischklumpen. Zerlegten die beiden da drinnen etwa Fleisch zum Essen? Aber dafür war die Menge doch viel zu groß gewesen! Außerdem machte man so was ja nicht im Bad – seltsam, sehr seltsam! Yoshië hatte sich die ganze Zeit nicht blicken lassen, obwohl sie doch da sein musste, und Masakos Verhalten war auch
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