Die Umarmung des Todes - Kirino, N: Umarmung des Todes - Out
Gänsehaut, als Masako sie hämisch grinsend ansah.
»Wieso – ich weiß es nicht.«
»Hast du was gesehen?«
»Na ja, schon. Etwas, das wie Fleisch aussah...«
»Komm mit, ich zeig’s dir!«
Entsetzt stieß Yoshië einen Protestschrei aus. Mit festem Griff packte Masako Kuniko beim Handgelenk. Der Angsthase in ihrem Inneren flüsterte ihr zu: Schnell, mach dich schleunigst aus dem Staub! Aber seine Stimme wurde übertrumpft von der Neugierde, es sehen zu wollen, und der Hoffnung, dass da womöglich etwas im Gange war, was Geld versprach. Beides zusammen ließ
ein Lustgefühl entstehen, wie Kuniko es noch nie in ihrem Leben verspürt hatte.
Yoshië zog Masako am Arm und fragte sie eindringlich: »Hör mal, weißt du auch, was du da tust? Hältst du das wirklich für richtig?«
»Ja. Sie kann uns helfen.«
»Ich hab dich jedenfalls gewarnt!«, rief Yoshië eingeschnappt, aber es klang wie ein Hilfeschrei.
Hektisch versuchte es Kuniko auch bei Yoshië: »Bei was helfen, Meisterin?«
Yoshië antwortete nicht, sondern verschränkte die Arme vor der Brust und starrte zu Boden. Masako zog Kuniko am Handgelenk hinter sich her, den Flur entlang zum Bad. Hilflos stolperte sie hinterher und wäre fast in Ohnmacht gefallen, als sie schließlich auf dem Boden des hell erleuchteten Waschplatzes ein menschliches Bein liegen sah.
»Was, was ist das...!«
»Yama-chans Ehemann«, sagte Masako, während sie langsam den Rauch der Zigarette ausstieß, die sie sich angezündet hatte. Kuniko erinnerte sich an das angetrocknete Blut unter Masakos Fingernägeln und den süßlich üblen Geruch und wollte sich übergeben. Sie presste die Hand auf den Mund und versuchte mit allen Mitteln, den Brechreiz zu unterdrücken.
»Aber wieso, wieso!« Sie wollte nicht wahrhaben, was sie da sah, hielt das Ganze für einen schlechten Scherz, für irgend so ein Ding aus dem Gruselkabinett, das die beiden hier hindrapiert hatten, um ihr einen Schreck einzujagen.
»Yama-chan hat ihn wohl umgebracht«, seufzte Yoshië.
»Aber wieso macht ihr dann so was damit!«
Genervt fuhr Masako herum: »Ich habe beschlossen, es als Job anzusehen, sachlich und nüchtern.«
»Aber das ist doch kein Job! Das...«
»Ist es doch!«, unterbrach Masako sie barsch. »Und wenn du Geld haben willst, wirst du mitmachen müssen!«
Das Wort »Geld« aktivierte in Kuniko einen anderen Schaltkreis. »Was heißt das, ›mitmachen‹… was muss ich da tun?«
»Wenn wir ihn zerlegt und in Mülltüten verpackt haben, brauchst du ihn nur noch wegwerfen zu gehen, das ist alles.«
»Ich muss ihn also wirklich nur wegwerfen?«
»Ja.«
»Und wie viel krieg ich dafür?«
»Wie viel willst du? Ich werde mit Yama-chan verhandeln. Dafür hängst du dann aber als Mittäter mit drin. Du darfst kein Sterbenswörtchen darüber verraten, zu niemandem!«
»Ich weiß, das ist mir klar«, sagte Kuniko. Sie konnte nicht anders und merkte perplex, dass sie Masako, die sie nur zum Schweigen bringen wollte, in die Falle gegangen war.
3
Nachdem sie die Fabrik früher als die anderen Frauen verlassen hatte, trat Yayoi Yamamoto, den alten roten Schirm aufgespannt, in die Pedale ihres Fahrrads.
Das verschossene Rot des Schirms tauchte ihre nackten Arme in rosarotes Licht, eine fröhliche, aufmunternde Farbe. Vielleicht leuchten meine Wangen ja genauso rosig, dachte Yayoi, wie die eines jungen Mädchens.
Aus diesem rosaroten Sehfeld, das sich im langsamen Tempo ihrer Tritte mit ihr fortbewegte, wirkte alles andere bedrohlich düster, voll dunkler Schatten: der regennasse, schwarze Asphalt, die in jungem Grün stehenden Bäume zu beiden Seiten der Straße und die Wohnhäuser, hinter deren fest verschlossenen Fensterläden die Bewohner noch zu schlafen schienen.
Unter ihrem Schirm war es rosig, doch die Außenwelt hatte sich in eine bedrohliche Landschaft verwandelt, die Yayoi umzingelte. Sie symbolisierte die Welt nach dem Mord an ihrem Mann Kenji, sie ließ sie unentwegt daran denken.Yayoi verkroch sich tiefer unter ihren Schirm, als wollte sie nichts mehr davon sehen.
Sie erinnerte sich noch ganz genau daran, wie sie Kenji umgebracht hatte. Sie hatte ihn eigenhändig erwürgt. Doch andererseits gewann die Illusion mehr und mehr an Kraft, er sei einfach irgendwohin verschwunden. Dass sie sich da ein für sie selbst bequemes Trugbild zurechtzimmerte, kam ihr nicht in den Sinn. Denn Kenjis Seele war längst weit weg von ihrem Haus, von sich und ihren beiden Söhnen. Deshalb konnte
Weitere Kostenlose Bücher