Die Umarmung des Todes - Kirino, N: Umarmung des Todes - Out
dass eine Frau ohne besondere Qualifikationen keine besser bezahlte Stelle bekam, wenn sie nicht gut aussah. Deshalb schob sie ja die elende Nachtschicht in der Fabrik. Und vor lauter Stress aß sie immer mehr. Und wurde dicker und dicker.
Plötzlich packte Kuniko die Wut auf alles und jeden. Mit voller Wucht stieß sie den Automatikhebel in Fahrposition, riss den Fuß vom Bremspedal und ließ den Motor aufheulen. Mit einem Satz schoss der Golf aus dem Parkplatz. Sie freute sich über die Staubwolke, die sie kurz im Rückspiegel sah.
Kuniko folgte dem Shin-Oume-Highway eine Weile Richtung Zentrum, bis sie an einer Ampel rechts Richtung Kunitachi abbog. Linker Hand, jenseits der Birnbaum-Plantage, lag die alte Mietskaserne mit den viel zu eng geschnittenen Wohnungen: Kunikos Zuhause.
Sie hasste es, dort zu wohnen. Aber bei ihrem und Tetsuyas – der Mann, mit dem sie in wilder Ehe zusammenlebte – Einkommen konnten sie sich derzeit keine andere Wohnung leisten. Kuniko wünschte nichts sehnlicher, als eine andere Frau zu sein und an einem anderen Ort mit einem anderen Mann ein anderes Leben zu führen. »Anders« – damit meinte sie natürlich um etliche Klassen besser. Ob sie irgendwie verrückt war, weil sie sich ständig um ihren Status sorgte und an nichts anderes mehr denken konnte als an diesen Traum?
Kuniko parkte ihren Golf in der für sie reservierten Lücke auf dem Parkplatz der Mietskaserne. Um sie herum standen nur Kleinwagen und einheimische Massenfabrikate. Voller Stolz auf ihren Golf schlug sie die Wagentür zu, dass es knallte. Soll das Pack doch wach werden, geschieht ihnen nur recht! Aber sie wusste auch, dass sie sich unterwürfig entschuldigen würde, wenn jemand käme und sie deswegen anbrüllte. Man musste schließlich einen klaren Kopf bewahren und sich geschickt verhalten, auch wenn das manchmal Mühe kostete.
Sie stieg in den mit Graffiti beschmierten Aufzug, schlurfte im vierten Stock den unansehnlichen Flur entlang, vorbei an Dreirädern, Styroporkisten aus dem Supermarkt und dergleichen, die überall vor den Türen standen, bis sie vor ihrer eigenen ankam. Sie schloss auf, trat in die dunkle Wohnung und hörte schon das viehische Schnarchen aus dem hinteren Zimmer. Alles wie immer, es kümmerte sie schon gar nicht mehr. Sie legte die Zeitung, die sie draußen aus dem Briefschlitz gezogen hatte, auf den Esstisch mit der beschichteten Spanplatte, den sie per Teleshopping gekauft hatte.
Außer dem Fernsehprogramm las sie die Zeitung überhaupt nicht. Und Tetsuya las auch nur die Seite »Vermischtes« und den Sportteil. Eigentlich war es Geldverschwendung, und sie würde sie liebend gerne abbestellen, aber sie brauchte die Anzeigen. Sie nahm den Teil mit den vereinzelten Stellenangeboten für Frauen inmitten lauter Immobilienanzeigen heraus und legte ihn beiseite. Nachher wollte sie ihn in Ruhe durchsehen.
Im Zimmer war es stickig schwül. Sie stellte die Klimaanlage an und machte den Kühlschrank auf. So, ohne etwas im Magen, würde sie nie im Leben einschlafen können. Gähnende Leere schaute ihr entgegen. Wo waren die Packung Kartoffelsalat und die O-Nigiri 2 geblieben, die sie gestern Abend erst im Supermarkt gekauft und hineingelegt hatte? Tetsuya musste ihr einfach alles weggefressen haben!
Wütend riss Kuniko eine Bierdose auf, machte sich über eine Tüte Chips her und schaltete den Fernseher ein. Sie zappte durch die Kanäle, bis sie eines der morgendlichen Boulevardmagazine gefunden hatte. Die Skandalgeschichten aus der Welt der Prominenten ergötzten sie sofort. Jetzt wartete sie nur noch auf die Wirkung des Alkohols.
Da brüllte Tetsuya von hinten: »Stell den Scheißkasten gefälligst leiser, ich will schlafen!«
»Du musst doch sowieso gleich aufstehen!«
»Ich hab noch mindestens zehn Minuten!«
Damit kam etwas auf sie zugeflogen und traf sie am Arm. Ein
Plastikfeuerzeug. Die Stelle am Arm wurde rot. Mit dem Feuerzeug in der Hand baute sie sich neben Tetsuyas Bett auf.
»Fauler Sack! Ich bin müde, begreifst du das nicht!«
»Was willst du?« Tetsuya hatte die Augen offen. In seinem Gesicht war Furcht zu lesen. »Ich bin auch müde.«
»Und deshalb glaubst du, mir dieses Ding hier an den Kopf werfen zu können!« Kuniko machte das Feuerzeug an und hielt es Tetsuya vors Gesicht.
»Hör auf!« Tetsuya schlug ihr das Feuerzeug aus der Hand. Es sprang von den Tatamimatten zurück und rollte weg. Wie wild schlug Kuniko nach Tetsuyas Hand.
»Was fällt dir ein! Ich
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