Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Unbefleckte Empfängnis (German Edition)

Die Unbefleckte Empfängnis (German Edition)

Titel: Die Unbefleckte Empfängnis (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gaétan Soucy
Vom Netzwerk:
sich daran, einen Streifen Speck abzuschneiden. Das stumpfe Messer rutschte über das Fett. Um seine Abscheu zu überwinden, versuchte er die Überschriften der Zeitung zu entziffern, in die der Speck eingewickelt war.
    Im Schlafzimmer war Séraphon ganz und gar von den Geschehnissen auf der Straße gebannt. Die Jungen hatten ihr Spiel unterbrochen. Mit bewundernd aufgerissenen Mündern schlichen sie um die Feuerwehrleute. Die Nachbarn, die sonst nie zu sehen waren, drückten verängstigt fröstelnd die Nasen ans Fenster. Es waren wie Séraphon alte Männer oder Frauen; in der ganzen Straße, in allen Wohnungen dasselbe: überall Alte. Einer der Feuerwehrmänner verließ die Habachtstellung, ergriff den Schläger eines der Jungen und steckte ihn sich mit dem krummen Ende zwischen die Beine, so dass der Griff nach oben stand. Trippelnd wie ein Pinguin machte er so ein paar Schritte eines burlesken Tanzes. Der kleine Junge lachte.
    »Also«, sagte der Hauptmann, als Remouald ihm einen tintenfarbenen Tee eingoss, »ein Zeuge gibt an, Sie gesehen zu haben, Sie und Ihre Mutter, vor etwa einer halben Stunde auf dem Gelände des Grill aux Alouettes . Ist das richtig?«
    »Äh, ja. Ja.«
    Remouald zupfte unablässig an seinem Hemdkragen herum. Der Hauptmann sprach weiter, während er auf seinem Schwartestreifen kaute.
    »Erlauben Sie mir in diesem Fall bitte, Ihnen ein paar Fragen zu stellen. Hätten Sie etwas dagegen, wenn Ihre Mutter der Unterredung beiwohnt? Ich denke, das wäre von Vorteil.«
    Remouald nickte und ging seinen Vater holen. Séraphon protestierte, er wollte das Schauspiel der Feuerwehrleute und Kinder beobachten. Dennoch grüßte er den Hauptmann untertänig, nachdem sein Sohn ihn hinübergeschoben hatte.
    »Sie und Ihr Sohn, Madame, sind sicher darüber im Bilde, dass das Betreten eines Privatgeländes, auch nach einem Brandfall, und ich würde sagen, gerade nach einem Brandfall, je nach der Schwere der Umstände ein, zugegeben mehr oder weniger gewichtiges, aber doch ein Vergehen darstellt und dass wir, die Herren Beamten und ich, in diesem Fall bereit sind, ein Auge zuzudrücken.«
    Noch ganz benommen von der Opulenz seines Satzes, von dem er jede Silbe einzeln ausgekostet hatte, hielt der Hauptmann inne und erfreute sich an seinem Nachhall. Dann riss er mit den Zähnen noch eine Ecke Speck ab.
    »Könnten Sie mir lediglich erklären, was Sie dort zu ergaunern hatten?«
    Séraphon lächelte. Nicht umsonst war man Sohn einer Lehrerin, und wenn es dem Hauptmann unbedingt daran gelegen war herauszufinden, wer die schöneren Sätze schmieden konnte, wollte er ihm den Gefallen gern tun. Herablassend neigte er den Kopf und räusperte sich der Form halber.
    »Ihr Scharfsinn ist bemerkenswert, lieber Herr Feuerwehrmann, wirklich bemerkenswert, und ich würde es niemals wagen, in welcher Angelegenheit auch immer, Sie täuschenzu wollen. Haben Sie mich nicht eben Madame genannt? Ihre Klarsicht ist erstaunlich! Wie genau Sie das Wesen eines Menschen doch erfassen können! Sie haben in mir die Frau gesehen, zu der mich meine schwache Verfassung nach all den Strapazen der Jahre am Ende gemacht hat. Ja, der Mann hier vor Ihnen ist nur eine alte Frau, Ihre Auffassungsgabe hat sich nicht täuschen lassen. Allzu gern würde ich auch ohne Ausflüchte auf Ihre Frage antworten, wenn Sie als Mann von Rang die Freundlichkeit und Güte besäßen, mir diese noch einmal zu wiederholen, da mein Altweibergedächtnis nicht immer ganz so will, wie ich es möchte.«
    Der Hauptmann wiederholte die Frage, ohne mit der Wimper zu zucken.
    »Also, das war so. Mein Sohn, hier zugegen, ist mitunter ein wenig schwerfällig, hat im Grunde aber ein gutes Herz und kümmert sich um seine alte Frau Vater mit …«
    »Gut jetzt, ich hab’s begriffen.«
    »Nun, ich will Ihnen sagen, dass mein Sohn mir heute Mittag folgenden Umstand zu bedenken gab: Was, wenn unter den Trümmern noch immer ein armes Wesen verschüttet läge? Stellen Sie sich das vor, ein Mann vielleicht, oder eine Frau, die ein sonderbares Schicksal wie durch ein Wunder verschont hätte … Nach so vielen Tagen … Denken Sie: Nach so vielen Tagen! Wussten Sie, dass so etwas schon vorgekommen ist …? Wäre es da nicht unsere Pflicht, diese Person zu retten? Ein Baby vielleicht. Ein kleines Kind, das der liebe Gott beschützt hat, Herr Hauptmann.«
    »Ich wüsste nicht, was ein Baby im Grill aux Alouettes verloren hätte.«
    Es gelang Séraphon, ganz leicht die Schultern zu heben,

Weitere Kostenlose Bücher