Die Unbefleckte Empfängnis (German Edition)
verbrannten Träumen und Blut.
I ch bin doch nicht verrückt, ich habe sie gesehen . Sollte mir ein Unglück zustoßen und dieses Heft jemand anderem in die Hände fallen, so möchte ich ihn bitten, der Polizei die folgenden Zeilen zu übermitteln. Ich, Clémentine Clément, Lehrerin an der École Adélard-Langevin, alleinstehend und noch jung, in bester körperlicher und geistiger Verfassung, schwöre hiermit, am Abend des 23 . November drei meiner Sechstklässler, namentlich die Schüler Rocheleau, Bradette und Guillubart, auf dem Gelände des kürzlich durch einen Brand zerstörten Grill aux Alouettes erkannt zu haben .
Ich konnte sie von meinem Fenster aus beobachten. Sie hielten sich hinter einer Mauer auf, die mir bedauerlicherweise die Sicht versperrte. Daraufhin betrat eine Person das Gelände und ging ebenfalls zu der Mauer. Nach ein paar Minuten, vielleicht zwei, kam er denselben Weg zurück, wobei er etwas unter seinem Mantel verbarg . Ich sah, wie er ohne jede Rücksicht auf seine alte Mutter, die er im Rollstuhl schob, Reißaus nahm. Ich konnte mich nicht zurückhalten, öffnete das Fenster und stieß einen Schrei aus. So, das ist alles. Ich hielt ich es für angemessener, nicht die Polizei, sondern die Feuerwehr zu informieren. Bei der Gelegenheit übergab ich auch den Aschenbecher, den der Verdächtige in den Vorgarten meines Hauses geworfen hatte. Beim Anblick des Aschenbechers schien der Hauptmann, ein – ich sage die Dinge, wie sie sind – durchaus gutaussehender Mann, in quälende Gedanken zu versinken. Vielleicht tat ich Unrecht, jedenfalls wollte ich die Kinder den Feuerwehrleuten gegenüber unerwähnt lassen .
Ich schreibe dies um halb sieben Uhr morgens, liebes Tagebuch, das ich momentan schrecklich vernachlässige. Ich hatte gehofft, das Niederschreiben würde mich von der Angst befreien, die mich die ganze Nacht wach gehalten hat. Das ist meine siebte schlaflose Nacht in drei Wochen. Schlaf wird in meinem Leben nicht gerade das gewesen sein, was mir am üppigsten beschieden war. Und wenn mir einmal die Augen zufallen, dauert es keine dreißig Sekunden und ich träume wieder denselben Traum. Seit dem großen Feuer peinigt mich dieser Alptraum: Ich sehe immer wieder dieses Pferd, das von Entsetzen getrieben auf mein Haus zugaloppiert, ein brennendes Pferd, das geradewegs in den Hof mit den Ölfässern gerannt wäre, wenn nicht ein Polizist es mit dem Karabiner erlegt hätte … In den folgenden Tagen wurde mir regelmäßig übel vom Gedanken an dieses arme Tier, aus dessen Kopf, der aussah wie ein umgestülpter Frosch, das Blut spritzte. In der Nacht überkommt mich manchmal die Angst. Als ob sich, völlig unabhängig von meinem eigenen Willen, etwas in mir anbahnte, eine Tat, deren Sinn und Tragweite mir noch unklar sind. Eine Explosion vielleicht? Ein Sturz? Auch fühle ich mich angespannt, labil … Ich sehe mein Bild im Spiegel, und es sieht aus, als würde ich gleich in Tränen ausbrechen … Und ich weiß, jeden Tag sehen die anderen genau dieses Gesicht .
Was meine Bedenken hinsichtlich Bradette, Guillubart und Rocheleau angeht, werde ich heute Morgen nur Bruder Gandon darüber unterrichten – zumindest der Schuldirektor sollte doch informiert sein! Er wird wieder sagen, dass ich übertreibe, dafür lege ich meine Hand ins Feuer. Es zehrt an mir, dass man mich verdächtigt, ständig Verdacht zu hegen, und manchmal denke ich sogar, dass Bruder Gandon … nein, ich möchte nicht anfangen herumzunörgeln. Zurück zum Wesentlichen. Die Frage ist doch, wie mit den drei Schülern vorzugehen ist. Jetzt, da ich die schmählichen Zeichnungen in Guillubarts Schulranzen entdeckt habe, sind sie sicher vorsichtig geworden, und ich halte es für das Beste, ihr Misstrauen nicht durch allzu offenkundige Überwachung zu schüren. Irgendetwas stimmt mit diesen Kleinen nicht, ich weiß nicht was. Vielleicht handelt es sich um ganz harmlose Verbindungen, um zufällige Treffen, es könnte sich aber auch um düstere Machenschaften handeln. Sollte, ich sage mit Absicht: sollte dem so sein … dann hätte ihr Geheimnis gestern Abend ein kleines Leck bekommen. Und genau dieses Leck ist mein Ansatzpunkt, dadurch muss ich mich einschleusen, ohne die Dinge zu überstürzen, damit es sich nicht gleich wieder verschließt . Schon als kleines Kind waren mir Geheimnisse ein Graus, und ich habe mir geschworen, dass dieses hier nicht länger ungelöst bleiben soll als die anderen .
Doch genug, ich will noch
Weitere Kostenlose Bücher