Die Unbekannten: Roman (German Edition)
die Hemdsärmel hoch.
Von der Seife stieg ein billiger Geruch auf, welch erbärmliche Imitation des Dufts von Rosen. Sie schäumte auch nicht so kräftig wie die edlen Seifen, an die er gewöhnt war. Der Schaum fühlte sich eher schleimig an.
Wenn Henry im Keller Vorräte anlegte, um sich für die Möglichkeit eines Zusammenbruchs der Gesellschaft einzudecken, würde er auch die richtigen Seifen in ausreichender Menge einlagern müssen. Zweifellos hatte man in diesem Haushalt auch die Shampoos, Haarspülungen,
Zahnpasten und diverse andere Toilettenartikel aufgrund des Preises ausgewählt. Sie waren indiskutabel.
Der Zustand seiner Fingernägel bestürzte ihn. Unsäglicher Schmutz hatte sich unter jedem einzelnen abgelagert.
Wie hatte er mit diesem Dreck unter den Nägeln das Abendessen zu sich nehmen können? Vielleicht schlich sich die bäurische Denkweise wie ein unheilvoller Nebel, der mit zarten Dunstschleiern beginnt, unbemerkt in den Geist eines Neuankömmlings ein. Erst unterließ man es, den Dreck unter den Fingernägeln zu entfernen, und eine Woche später ertappte man sich dabei, dass man Kautabak kaute und Latzhosen kaufte, weil es einem gefiel .
Er musste sich vor einem unbewussten Abgleiten aus der Kultiviertheit in ordinäre Gepflogenheiten und bäurische Vorstellungen hüten.
In der Seifenschale lag eine kleine rechteckige Bürste mit mittelsteifen Borsten, die eindeutig dazu gedacht war, den hartnäckigen Schmutz der Farmarbeit aus den Falten der Fingerknöchel und unter den Fingernägeln herauszuschrubben. Henry benutzte sie, um energisch den widerwärtigen Dreck unter seinen Nägeln zu attackieren.
Während er sich damit abmühte, wurde ihm zu seiner Bestürzung klar, dass er fortan nicht mehr zweimal im Monat die Dienste einer Maniküre in Anspruch nehmen konnte. Er selbst und kein anderer würde jetzt für die Gesundheit und die Attraktivität seiner Nägel und seiner Nagelhaut verantwortlich sein.
Sein Haar. Mit einem Schauer des Entsetzens begriff er plötzlich, dass er sich in Zukunft selbst die Haare schneiden musste.
In der näheren Umgebung, in diesem Königreich der Trottel und Hinterwäldler, waren zweifellos Friseure zu finden, doch er vermutete, die lernten das Haareschneiden durch das Scheren von Schafen und würden ihn wie einen reaktionären Hinterwäldler herrichten. Aber wenn die Anarchie über die Nation hinwegfegte, wäre der waghalsige Gang zum Friseur so töricht, als wolle man barfuß durch eine Schlangengrube laufen.
Das Wasser war schmutzig und lauwarm. Vier Fingernägel hatte er zu seiner Zufriedenheit gereinigt. Er ließ das schmutzige Wasser aus dem Waschbecken ablaufen und füllte es von neuem.
Er schrubbte und schrubbte, ließ das Wasser noch einmal abfließen und füllte das Becken ein drittes Mal.
Als seine Hände sauber waren, hatte er das Gefühl, sich nicht nur von Schmutz, sondern auch von jeglichem hartnäckigen Rest Aberglauben reingewaschen zu haben. Er glaubte fest daran, dass er von nun an nicht mehr paranoiden Fantasien über auferstandene Tote erliegen würde. Das war’s dann wohl, Jim.
Mit der Schrotflinte in der Hand drehte Henry eine weitere Runde durch das Haus.
In der Küche starrte er den Lichtschein an, der unter der Kellertür heraussickerte. Ihn beunruhigte das Licht, das von dort unten kam, wo nur Dunkelheit sein sollte – dieses Licht, das zusammenströmte, aufstieg und sich in Andeutungen erging.
Er stand lange da und hielt die Schrotflinte fest umklammert, bis er schließlich merkte, wie sehr seine Hände schmerzten.
Er kehrte ins Schlafzimmer zurück, blieb dort stehen und starrte die Imitation eines Schläfers unter der Zudecke an, das Gebilde aus Kopfkissen und zusammengerollten Decken, das Henry darstellen sollte. Das Abbild war überzeugend.
Als die Taschenlampe in seiner Hand brannte, löschte er mit dem Schalter neben der Tür die Deckenlampe. Die Tür ließ er offen. Das Flurlicht war zu schwach, um die tiefe Dunkelheit im Schlafzimmer aufzuhellen.
Er brachte seine Schrotflinte wieder an sich und nahm sie mit in die leere Schrankhälfte, aus der er Noras Kleidung entfernt hatte. Er setzte sich mit dem Rücken zur Wand auf den Boden und ließ die durchlöcherte Tür offen stehen. Dann knipste er die Taschenlampe aus.
Draußen würde der Peiniger den Schein der Wohnzimmerlampe sehen, während die anderen Räume im Dunkeln lagen. Höchstwahrscheinlich würde er eine Falle wittern und darauf warten, dass Henry aus dem
Weitere Kostenlose Bücher