Die Unbekannten: Roman (German Edition)
Nasenhöhlen so großzügig mit Blutgefäßen und Nerven ausgestattet waren wie die Nasen von Hunden und dass ihr Geruchssinn hoch entwickelt war. Sie hatten die Zähne von Allesfressern, in Form, Schärfe und Anordnung den Zähnen des Menschen recht ähnlich. Trotz des Fells, das einiges verbarg, gestattete ihnen ihre Gesichtsmuskulatur eine große Bandbreite von Ausdrücken und somit ein lebhaftes Mienenspiel. Ihre Zehen waren länger als die von Menschen, und der große Zeh schien
eine Art Daumen zu sein, nicht vollständig opponierbar, aber doch praktisch genug, um sie zu guten Kletterern zu machen.
Jede weitere Entdeckung gab Cammy neuen Auftrieb. Ihr schwirrte der Kopf vor Ideen, Fragen und Vermutungen, die weitere Fragen aufwarfen. Ideen rieben sich aneinander wie Feuersteine, und Funken sprühten von einer auf die andere und sprangen von dort aus auf die nächste über.
Cammy deutete auf das Tier, das auf der Sofakante hockte und sie gebannt anstarrte, und sagte: »Sie ist so rätselhaft, dass ich sie Puzzle nennen werde.«
Da die Genitalien vollständig in Fell und Falten verborgen waren, fragte Grady: »Woher weißt du, dass es eine Sie ist?«
»Ich vermute es nur. Aber sie ist eine Spur kleiner als der andere. Und ihr Schwanz ist nicht ganz so buschig.«
»Männliche Pfauen sind immer prächtiger als die Weibchen, was?«
»Das trifft auf eine ganze Reihe von Arten zu, aber nicht auf alle. Ein männlicher Golden Retriever hat meistens einen buschigeren Schwanz als ein Weibchen.«
Puzzle rutschte vom Sofa, ließ sich auf alle viere fallen, hob den Kopf und musterte Cammy weiterhin interessiert.
Augenblicklich wandte sich das andere Tier dem Polster zu, auf dem Puzzle gesessen hatte, und stellte es aufrecht hin, um darunter zu schauen.
Grady sagte: »Dann glaubst du also, das, das nach Kleingeld sucht, ist ein Männchen?«
»Ich bin mir ziemlich sicher. Aber die Namen funktionieren auch umgekehrt. Ich werde ihn Riddle nennen.«
»Puzzle und Riddle. Das ist vermutlich besser als Tim und Struppi.«
»Dir sollte man gesetzlich verbieten, Tieren Namen zu geben.«
»Ich bin immer noch der Meinung, Howard wäre ein guter Name für Merlin gewesen.«
»Um Himmels willen, du wolltest ihn doch Sassy nennen.«
»Das war doch nur dazu gedacht, dir einen solchen Schrecken einzujagen, dass du mich ihn Howard nennen lässt.«
Cammy deutete auf das Weibchen und sagte: »Puzzle. Das bist du. Aber für jedes Puzzle gibt es eine Lösung.«
Anscheinend um das Urteil zu bestätigen, diese Tiere seien nicht wild, sondern den Umgang mit Menschen gewöhnt, flitzte Puzzle zu dem Fußschemel, kletterte auf Cammys Schoß und rollte sich dort zum Schmusen zusammen, als sei sie kein Brocken von über zwanzig Kilo, sondern ein Schoßhündchen.
Lachend streichelte Cammy Puzzles Fell und war so erstaunt darüber, wie dicht und einmalig weich es war, dass sie ausrief: »Grady, fühl mal.«
Er legte eine Hand auf Puzzle. »Ganz weich, wie Nerz.«
»Weicher als Nerz«, sagte Cammy. »Weicher als Zobel. Weicher als alles andere.«
Unter Cammys streichelnden Händen schnurrte Puzzle vor Wohlbehagen.
»Sieh mal einer an«, sagte Grady. »Du strahlst ja.«
»Ich strahle nicht«, protestierte Cammy.
»Ich habe dich noch nie so strahlen sehen.«
»Ich bin kein Scheinwerfer.«
»Dein Gesicht sieht aus wie das Gesicht einer Heiligen auf einem Gemälde.«
»Ich bin keine Heilige.«
»Aber du strahlst trotzdem.«
29
Der Vorfall ereignete sich am Nachmittag, und Tom Bigger dachte den ganzen Tag und bis in die Nacht hinein an nichts anderes, bevor er entschied, was er zu tun hatte.
Als es passierte, übergab er sich gerade in eine Mülltonne.
Ohne Kreischen stieß ein Schwarm Möwen aus dem Nichts herab, und ihre Flügel teilten die Luft dicht über seinem Kopf. Allein schon der Umstand, dass er den Kopf einzog, sich umdrehte und in die Sonne blickte, genügte, um Schwindelgefühle auszulösen.
Einen Schritt weiter stand eine Mülltonne. Wenn sie nicht dort gestanden hätte, hätte er in seiner Verwirrung vielleicht auf seine Schuhe gekotzt. Es wäre nicht das erste Mal gewesen.
Die Tonne diente einem kleinen Parkplatz an der Küstenstraße als Abfallbehälter. Zwei Bänke aus Beton boten Aussichtspunkte, von denen man den Blick auf das sonnengesprenkelte Meer und einen halbmondförmigen Küstenstreifen genießen konnte.
Gelegentlich, an Tagen, an denen er vorzeigbarer war als sonst, kletterte Tom vom Strand herauf, um
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