Die unbeugsame Braut
sich dennoch seine Gedanken. Warum hatte er das alles geträumt? Das mit dem Kinnhaken als Reaktion auf Francis’ Übergriffe ließ sich leicht erklären, war er doch am Abend zuvor außer sich vor Wut gewesen über die unverblümten Absichtserklärungen des Bruders, Georgina in sein Bett zu locken. Es verwunderte ihn jedoch, dass er ebenfalls in seinem Traum versucht hatte, Georgina zu verführen.
Vermutlich lag es an dem sexuellen Frust der vergangenen neun Jahre. Vielleicht hatte er seine physischen Bedürfnisse unbewusst in seinen Traum übertragen. Das erklärt aber noch immer nicht, warum ich ausgerechnet Lady Georgina Gordon zum Objekt meiner Begierde gemacht habe. Sie ist mehr Kind als Frau, und ich bin fünfzehn Jahre älter als das Mädchen. John schnitt eine Grimasse. Deshalb nennt sie mich alter Mann.
Bis vor neun Jahren war John Russell ein treuer Ehemann gewesen. Und auch später hatte er sich trotz gelegentlicher Affären niemals eine Geliebte genommen. Seine Beziehung zu Lady Sandwich hatte nur einige Male intimere Formen angenommen – ansonsten war er der verwitweten Anne weniger in tiefer Leidenschaft als vielmehr in Zuneigung und Respekt verbunden.
Da er selbst kein Heiliger war, hatte er die zahllosen Liaisons seines Bruders nie verurteilt. Er wusste ja, dass der engere Freundeskreis um den Prince of Wales berüchtigt war für seine lockere Moral. Plötzlich aber empfand John Abscheu vor dem wollüstigen Interesse seines Bruders an jungen, unschuldigen Mädchen. Als
Francis ihm verraten hatte, dass er auch Lady Louisa Gordon verführt habe, war John zutiefst schockiert gewesen. Das Bild Louisas und Georginas blitzte vor seinem Auge auf. Die Gordon-Töchter sind höchst unkonventionell erzogen worden. Vielleicht hat die Mutter sie sogar gedrängt, bei ihrer Jagd auf reiche, vornehme Ehemänner bis zum Äußersten zu gehen, und ihnen gepredigt, Schönheit und Freizügigkeit seien eine unwiderstehliche Kombination. Ein Gedanke, der ihn noch mehr aufbrachte.
Am nächsten Morgen unterbreitete John dem Bruder nach dem Frühstück einen Vorschlag. »Wie wär’s mit einer Tennispartie auf deinem großartigen Platz, Francis? Ein Doppel wäre für die Jungen eine gute Übung.«
»Wunderbar – ich freue mich schon darauf, John. Mein Namensvetter und ich treten gegen dich und William an. Was sagst du dazu, Francis?«
»Klingt verdammt gut, falls du die Geduld aufbringst, mit einem blutigen Anfänger zu spielen.«
»Dein jugendlicher Elan wird deine mangelnde Übung wettmachen.«
Sie begaben sich zu der überdachten Anlage, und Johnny bot seine Dienste als Balljunge an. Mit einer Münze wurde um den ersten Aufschlag gelost, und Francis verlor.
John lächelte voller Vorfreude, ehe er seiner innerlichen Wut freien Lauf ließ, sodass der Bruder bald ins Keuchen geriet und seine liebe Not hatte, die Bälle zu erwischen. Geschieht dir recht, dachte John rachsüchtig . Sein Zorn verlieh ihm ungeheure Kräfte, und schon nach kurzer Zeit gewann er das Match.
»Wann zum Teufel hast du so gut Tennis gelernt?«, wollte Francis wissen. »Ein Glück, dass wir nicht um den Sieg gewettet haben.«
»Da du Spaß und Spiele liebst, wollen wir um hundert Guineen auf eine zweite Partie wetten. Ich gebe dir die Chance, dich zu revanchieren.«
»Diesmal könnte ich William als Partner nehmen.«
»Abgemacht!« John schäumte noch immer. Für gewöhnlich war er kein ernsthafter Gegner für Francis, heute aber hatte er das unersättliche Verlangen, ihm den Teufel auszutreiben – auch wenn es nur symbolisch war.
Nach dem Match war Francis völlig außer Atem und drückte die Hand auf eine Stelle in seiner Leiste, die ihn seit seiner Kindheit plagte.
»Alles in Ordnung?«, fragte John besorgt.
»Mein verdammter Bruch. Andernfalls hätte ich dich haushoch geschlagen.«
Dieser Satz nahm John die Freude über den Sieg. Sein Bruder konnte Niederlagen nicht ertragen und hatte immer Ausflüchte parat. Er spürte, dass sein Ärger und seine Empörung fast verraucht waren. Fast, aber nicht ganz. Er nahm sich felsenfest vor, dem Bruder unverblümt ins Gesicht zu sagen, dass seine unehrenhaften Absichten in Bezug auf Lady Georgina nicht nur schamlos waren. Sie waren rundweg inakzeptabel und schändlich.
7
G eorgina hielt geduldig still, während die Modistin ihr das Hofkleid für den Empfang bei Königin Charlotte anprobierte.
»Es muss ganz schlicht sein«, betonte die Duchess of Gordon immer wieder.
»Weiß macht sich
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