Die unbeugsame Braut
großen Farm, die zu Woburn gehörte. Hier gab es Rinder, Schafe, Schweine, Ziegen, Gänse, Wildvögel und eine Herde gezähmter Wildtiere. In den großen Zwingern wurden Jagdhunde und ein paar Windhunde gehalten.
Nachdem die Kinder zu Bett gegangen waren, saßen John und Francis abends mit ihren Brandygläsern vor dem Feuer in der großen, gemütlichen Bibliothek. »Ich möchte dir danken, dass du den Jungen einen so schönen Tag ermöglicht hast. Ihre Ferien waren bis jetzt wegen der Verfassung ihrer Mutter nicht sehr vergnüglich.«
»In ihrem Alter sollen Jungen sich nach Herzenslust austoben und laut sein dürfen, wie es dir und mir möglich war.«
»Letzte Woche waren wir bei einem Kricketmatch. Charles Lennox spielte mit und lud uns für einen Tag nach Marylebone Manor
ein. Sein ältester Sohn ist in Johnnys Alter. Das ist eigentlich der Grund, weshalb ich für Francis das Pferd kaufte.«
»Lennox ist mit Lady Charlotte Gordon verheiratet. Bei Gott, eine feine Familie! Die Duchess of Gordon wird ›Einpeitscherin‹ genannt. Sie ist berüchtigt wegen ihrer hemmungslosen Jagd auf herzogliche Ehemänner für ihre Töchter. Hinter mir war sie auch her und wollte mich für Louisa haben, erwischte stattdessen aber Charlie Cornwallis. Ich war unlängst Gast auf ihrer Hochzeit.«
»Du bist dem gordischen Knoten entronnen?«
»Vergiss nicht, dass die jüngste Gordon-Tochter, Lady Georgina, eine temperamentvolle Schönheit ist. Ich habe mein Auge auf sie geworfen – sie ist verlockend wie die Sünde!«
Georginas Bild erschien in aller Deutlichkeit vor Johns geistigem Auge. Die Worte seines Bruders waren für ihn ein echter Schock. Francis fühlte sich bisher immer zu erfahrenen Frauen wie Lizzie Melbourne hingezogen, sodass John oft den Eindruck gehabt hatte, er suche eine Mutterfigur. »Ich kenne die Dame. Sie ist blutjung.« Sein Ton war tadelnd.
»Ein kleiner Leckerbissen. Bei der Hochzeit bat ich Huntly, der reizenden Göttin vorgestellt zu werden, die er bei sich hatte. Er klärte mich auf, dass sie seine Schwester und für mich tabu sei, da sie noch nicht debütiert habe. Georgina aber versprach mir mit verlockendem Lächeln, nach ihrem Debüt entzückt zu sein, meine Bekanntschaft zu machen. Sie fühlte sich sichtlich zu mir hingezogen.«
In seiner Fantasie vermeinte John ihre Worte deutlich zu hören. »Sie ist blutjung«, wiederholte er.
»Jung oder nicht, nach ihrem Debüt wird sie nicht mehr unantastbar sein. Ich wette hundert Guineen, dass ich mit der kleinen Wildkatze im Bett lande.«
»Verdammt, Francis, ich schließe keine Wette darüber ab, ob du eine Jungfrau in dein Bett kriegst. Wie kommst du auf eine so verwerfliche Idee?«
»Ich habe auch Louisa Gordon in mein Bett gelotst«, erwiderte sein Bruder lüstern grinsend. »Die Nächste auf meiner Liste ist Lady Georgina. Sie besitzt ein Paar köstliche Titten, alter Mann.«
Alter Mann! So hat Georgina mich genannt . John stand abrupt auf. »Für mich ist heute Schluss. Gute Nacht, Francis.«
Als John Russell sich entkleidete, wurde er von kaltem Zorn erfasst. Da sie die Eltern verloren hatten, als John zwei Jahre alt gewesen war, hatte sich zwischen den Brüdern eine ungewöhnlich starke Bindung entwickelt.
Francis führte das freizügige Leben eines Junggesellen, doch John hatte ihn nie wegen seiner zahlreichen Affären verurteilt. Jede seiner Geliebten schien ein anderes Bedürfnis abzudecken, und John hatte die sexuellen Ausschweifungen des Bruders immer entschuldigt.
Am Ende einer ausgedehnten Reise durch Frankreich hatte Francis sich in Paris Lord und Lady Maynard angeschlossen und über Jahre hinweg mit dem Ehepaar in einer ménage à trois gelebt. Die viel ältere und sehr gebildete Frau hatte eine berüchtigte Vergangenheit.
Das Interesse des jungen Mannes an Nancy Maynard war jedoch wohl nicht nur körperlicher Natur gewesen. Sie brachte ihm auch die Liebe zu Literatur und Poesie nahe, was zur Folge hatte, dass Francis Ovid auswendig zitieren konnte. Die Vorstellung allerdings, dass sein Bruder Georgina Gordon Reime von Ovid vortrug, heizte Johns Wut an.
Nackt trat er ans Fenster und starrte blicklos hinaus in die dunkle Nacht. Warum zum Teufel bringt mich Francis’ lüsternes Interesse an Georgina Gordon so in Rage? Die junge Frau bedeutet mir absolut nichts . Trotz allem, was er sich sagte, blieb die Tatsache, dass er wütend war, weil sein Bruder mit ihm hatte wetten wollen, ob er Georgina in sein Bett bekommen
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