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Die undankbare Fremde

Die undankbare Fremde

Titel: Die undankbare Fremde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irena Brezna
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Hauptstadt zu ziehen, und versprach der Mutter, Geld zu schicken.
    »Ich habe Albträume. Man zieht mir die Haut ab, zerstückelt mich. Im Kopf habe ich ein unerträgliches Stimmenwirrwarr, sodass ich aus dem Fenster springen will.«
    »Hält Sie etwas davon ab, aus dem Fenster zu springen?«
    »Der Gedanke an Mama.«
    Die Telefonverbindung mit der Mutter ist der einzige Draht zur Heimat. Die Psychiaterin geht hinaus, kommt zurück, ordnet die Gegenstände auf dem Tisch, steht wieder auf. Sie schützt sich hinter ihrer Geschäftigkeit und sagt zu mir:
    »Das ist ein schwerer Fall. Ich werde ihn abgeben.«
    Auf der Straße ermuntere ich die junge Frau:
    »Versuchen Sie, im Jetzt zu leben und diese Momente zu vergrößern.«
    »Ich gehe in den Park, aber ich kann mich an nichts erfreuen.«
    »Sie sind wie ein von der Front zurückgekehrter Soldat, Sie leben noch im Krieg, aber Sie werden es überwinden und anderen Frauen helfen. Millionen Frauen sind Sklavinnen.«
    »Ich und helfen? Jetzt tut mir der Nacken wieder weh.«
    Ich habe sie überfordert. Gerne würde ich sie umarmen, doch ich fürchte jene zu belästigen, die so oft zwangsberührt worden ist. Und fliehen möchte ich vor ihr. Vor ihrer Geschichte. Als Kompromiss drücke ich sanft ihren Ellenbogen.
    Ihre Haare sind im Kerker ergraut. Sie färbt sie pechschwarz, aufs versteinerte Gesicht trägt sie dicke Schminke auf und verpackt den geschundenen Körper modisch. Den aufgezwungenen Schönheitskult hat sie verinnerlicht. Im Flüchtlingsheim breitet sich das Gerücht aus, dass sie eine Frau »mit leichten Manieren« sei. »Woher hat sie die Klamotten«, tuschelt man. Die Schande färbt ab wie ein nasses, dunkles Kleid.
    Monate später erzählt sie von einem Mann, der sie nur zu ihrem Wohl berührt hat, mit geübten Fingern, ein Physiotherapeut, er hat ihre Nackenwirbel zurechtgerückt. Und der Wächter im Flüchtlingsheim hat ihr ein Gebetbuch geschenkt und gesagt:
    »Nichts geschieht ohne Gott.«
    Die Novizin hat einen Erlösungstraum. Sie steht im Dunkeln inmitten einer Menschenmenge, von der sie in den Boden gestampft wird. Sie schreit, und mit äußerster Anstrengung drückt sie die Menge zur Seite und steht auf. Sie hört ein Kind weinen und beugt sich über den kleinen, blutigen Körper. Auf einmal wird sie durch einen Strahl erleuchtet, eine große Stille schiebt den Menschenlärm weg und aus dem Himmel ertönt eine Stimme: »Alle, die Böses getan haben, werden jetzt sterben. Nur die Guten werden am Leben bleiben.« Sie sieht Menschen umfallen und das Kind auferstehen. Sie weint und betet im gleißenden Licht, bis sie aufwacht.
    Verließ ich mein Versteck, schon begegnete ich ihm, überall war ich ihm ausgeliefert. Nie würde ich mich scheiden lassen können. Wie eine Ehefrau, die sich mit Treppenhausklagen über ihren Gatten vom Druck der Ehe befreit, drehte ich mich in meiner Litanei im Kreis, überzeugt davon, das fremde Land hindere mich daran, auf meine Art zu leben. Lernte ich jemanden kennen, drückte man mir ein Brevier über das Schließen von Bekanntschaften in die Hand. Stolperte ich, schon entwarf man einen Stadtplan mit Stolpersteinen, versehen mit roten Ausrufezeichen. Kaufte ich einen Apfel, wurde ich über die Apfelpreise in der gesamten Gegend informiert. Ich würde sicher preisbewusst den weiten Weg bis zur billigsten Frucht auf mich nehmen. Hier herrschte das System, und ich war der pure Zufall. Sie kannten keine Einmaligkeit, aus meinen Improvisationen machten sie ein Regelwerk, glaubten an die ewige Wiederkehr. Die führenden Kinderpsychiater empfahlen, die Wiederholung zu wiederholen, aber bitte langsam! Das wirke besser als Baldriantropfen. Mich versetzte all das in höchste Unruhe.
    Obsessionen waren nach Themen getrennt, mit einem Mitgliederbeitrag hätte ich Aufnahme gefunden in Vereinen, Clubs, Gruppen, bei Beratungsstellen. Bloß in welche würde ich hineinpassen? Noch nicht auf der Entwicklungsstufe der Fachspezialisation angekommen, aß ich alles durcheinander mit einem großen Löffel. Eine vorindustrielle Seele. Ich schrie außerhalb des geschützten Rahmens einer im Vereinsregister eingetragenen Urschreigruppe. Mit dem Dachdecker wollte ich statt über den ersetzten Dachziegel über Sein und Nichtsein reden, dem Waschmaschinenmann zeigte ich allerlei, auch den kaputten Ofen und das abgebrochene Tischbein, doch er bestand auf seiner exklusiven Spenglerehre.
    Ich lebte noch in einem Urtropfen, hier aber gab es schon die

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