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Die undankbare Fremde

Die undankbare Fremde

Titel: Die undankbare Fremde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irena Brezna
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Mittelpunkt der Liebe. Ein zugeschnürter Passant wies mich auf meine offenen Schnürsenkel hin. Schnürte ich sie hastig zu, erhaschte ich in seinem Blick das Verlangen, mit mir anzubandeln .
    Ich schloss mit Mara eine Wette ab:
    »Mit diesem Klecks auf dem Pullover werde ich eine große Affaire haben.«
    Meine wertvollen Erkenntnisse gab ich weiter. Ich sah eine junge Fremde mit dem Fahrrad auf einem Parkweg, die Sonne flirtete mit den Blättern, als ein Spaziergänger ihr rüde zurief:
    »Fahrverbot.«
    Ich klärte die Verstörte auf:
    »Keine Sorge. Das ist Anmache.«
    Sie atmete schwer, schwitzte. Ich überließ der umworbenen Glücklichen ein Taschentuch und ich ging weiter durchs Land, stets hilfsbereit.
    In unserer Diktatur waren wir beim Flirten frei gewesen, durften mit zufälligen Buspassagieren Einstiegsmöglichkeiten ausprobieren, bei Klagen über die Sinnlosigkeit der Existenz anfangen und bei der Fleischknappheit wieder auseinandergehen oder umgekehrt. Und dann, vergessen, vorbei, schon waren wir ins nächste Abenteuer gestolpert. Hier waren Abenteuer rar und folgenschwer. Legte ich unvorsichtigerweise meinen Kopf auf die Seite, löste ich Eheängste aus, und einmal handelte ich mir damit einen Heiratsantrag ein. Der Mut jenes jungen Mannes ist zu würdigen. Sonst bot nämlich die Grundschule den Grundstein für eine stabile Ehe. Die von der ersten Klasse an vertraute Mitschülerin würde sich später nicht in ihr Gegenteil verkehren, und falls doch, lag unweit eine renommierte Schlafklinik.
    Als mich in den langen Gängen der Universität niemand ansprach, schaltete ich meinen schlampigsten Gang ein – den hielt ich für besonders verführerisch – und näherte mich ein paar Kommilitonen. Erschrocken vertieften sie sich ins Strafgesetzbuch.
    Alma Mater erbarmte sich meiner und schickte ihre besten Söhne aus, um mich zu erobern. Ein Medizinstudent küsste mich vorsichtig am Flussufer.
    »Ich spüre nichts«, sagte ich.
    »War das schon immer so?«, fragte er besorgt wie ein Arzt.
    Nach meinem »Nein« zog er nicht sein ganzes Verführungsregister, sondern davon.
    Ein Student der Nationalökonomie plante das Küssen im Voraus, schilderte mir die geeigneten Bedingungen, um die wir uns kümmern müssten, wollte mich demokratisch konsultieren, doch ich überließ nichts dem Zufall und kam nicht.
    Ein angehender Literaturwissenschaftler lud mich ins Theater ein, aber zahlen musste ich selbst. Danach gingen wir ins Café, er übernahm großherzig meinen Kamillentee und flüsterte mir zu:
    »Warte, bis die Serviertochter weg ist, dann kannst du mir das Kamillengeld zurückgeben.«
    Wo waren die Helden der Liebe? Später erkannte ein Supermarkt die Marktlücke und organisierte Flirtkurse.
    Mara träumte von einem roten Sportwagen und einem Mann in schwarzer Lederjacke, mit dem sie über Autobahnen rasen würde. Einmal in Bewegung geraten, konnten wir nicht mehr stehen bleiben, innerlich rotierten wir und trugen die Unrast hinaus. Viele Flüchtlinge kauften sich als Erstes einen Gebrauchtwagen, ich erstand ein blaues Fahrrad. War ich bedrückt, drückte ich in die Pedale, flog an all der Fremde vorbei, und schon konnte sie mir nichts mehr anhaben. Ich gehörte der Geschwindigkeit, fuhr über Rot, über Gehsteige, bog von der falschen Seite in die Einbahnstraßen ein, flog freihändig steile Gässchen hinunter, überquerte Plätze und Parkanlagen, ließ mich nicht aufhalten von Passanten, die mir Schimpfworte nachriefen. Ab und zu zahlte ich eine Buße, das war die Miete für das bewegte Zuhause, das erste, das ich mein Eigen nennen konnte.
    »Sie haben Metastasen in der Lunge und in der Wirbelsäule. Wir werden Sie behandeln, aber nicht heilen können. Genießen Sie jede Woche, jeden Monat«, erklärt die Ärztin der Patientin unaufgeregt, als sage sie etwas Alltägliches.
    Ich dolmetsche mit einer gespielt harmlosen Stimme und füge hinzu:
    »Genießen Sie jedes Jahr.«
    Die Patientin nimmt es gelassen auf, erschöpft und zufrieden liegt sie im Krankenhaus wie eine Läuferin am Ziel. Ihr Wettlauf fing an, als sie vor Bomben und Säube rungen von Dorf zu Dorf geflohen war, mit ihrem Sohn in den Armen. Ihr Mann wurde an einem Kontrollposten auf einen Panzerwagen gezerrt. Sie hätte gerne seinen Leichnam gewaschen, aber der liegt wohl in einem Massengrab.
    »Ich will für meinen Sohn leben, ich habe ihn gut erzogen, er ist gehorsam, er wird Ihrem Land alle Ehre machen.«
    Die Ärztin murmelt:
    »Unser Land ist

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