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Die undankbare Fremde

Die undankbare Fremde

Titel: Die undankbare Fremde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irena Brezna
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Zellteilung. Auch politisch. Das Land war stolz auf die Gewaltenteilung. Aber Mara ließ sich davon nicht beeindrucken:
    »Das kennen wir. Die einen üben Gewalt aus und die anderen teilen aus.«
    Freundinnen Aufträge zu verschaffen hieß verächtlich Klüngel. Die Einheimischen gerieten in Panik ob solch unlauterer Vermischung. Ich war es gewohnt, dass man sich gegenseitig hilft. Dann lief alles wie geschmiert.
    Nichts über das Geschäftliche hinaus entlockte ich den Verkäuferinnen, sie lächelten maskenhaft, ihre Hände verpackten die Waren so dicht, dass kein unanständiges Loch herausguckte, um uns schelmisch aus den Rollen herauszulocken. Wollten die lieben Mitmenschen Zuneigung zeigen, überreichten sie mir ein kunstvoll verpacktes Ding. Dazu ein Designwort.
    Ich verlor das Recht aufs Geben. Verschenkte ich etwas, löste ich Verlegenheit aus. Sie wurden nicht froh davon. Mein Geschenk hat sie in Schuld gestürzt. Und in Verbindung. Sie fühlten sich verpflichtet, dasselbe mit Selbem auszugleichen. Und wozu brauchten sie überhaupt diesen billigen Kitsch? Sie besaßen doch Kollektionen von wertvollen Gegenständen, und diese standen in der Hierarchie des Respekts ganz oben. Einen zeitaufwendigen Kult betrieben sie damit, suchten sie in der ganzen Welt zusammen, in der gestylten Wohnung wiesen sie ihnen einen festen Platz zu, streichelten sie mit dem Blick. Wurden ihre Lieblinge beschädigt, gerieten sie in Wut, trauerten und zogen Spezialisten für allerlei Risse herbei.
    Sich von der Gemeinschaft abzukapseln, um mit schönen Dingen fremdzugehen, diesen Luxus konnte sich eine Gesellschaft leisten, in der das elementare Überleben nicht von den anderen abhing. Wir hatten alles in ein reiches Beziehungsgeflecht investiert, kultivierten das Beisammensein, fühlten uns in die Launen der anderen ein, pflichteten bei, bestärkten den Konsens mit Berührungen. Am besten gleich allen zu gefallen, schließlich wusste man nicht, wer uns eines Tages aus dem Schlamassel herausziehen würde. Und über jene, die nicht dabei waren, spitzten wir das Lästermaul. Das verband.
    In diesem Land war Ehrlichkeit angesagt. Ohne Umschweife schleuderten sie ihrem Gegenüber ein barsches Nein ins Gesicht. Ich konnte mich an diese Grobheit nicht gewöhnen, versuchte das Nein in ein feines Vielleicht oder ein begeistertes Ja umzuwandeln. Sie waren empört, sie feilschten doch nicht. Treue Seelen, einem Nein hielten sie die Treue, einem Ja allerdings auch.
    Fing ich an, über jemanden herzuziehen, wiesen sie mir den kürzesten Weg:
    »Sag es ihm selbst.«
    Ich stockte beschämt. Motzen auf offenem Feld ohne Rückendeckung?
    Sie setzten mir weiter zu. Wagte ich, den Besuch im Botanischen Garten zu verschieben, drohten sie:
    »Das nächste Mal hältst du dich aber an die Abmachung.«
    Mit dem Zepter des schlechten Gewissens herrschten sie reinen Gewissens. Wann sollten wir überhaupt zueinanderfinden? Sie hielten die Zeit an kurzer Leine, und meine Zeit war ein steiler Schwalbenflug. Kaum holte ich weit aus, schon öffneten sie den Terminkalender. Nicht nur am Bankschalter, auch auf der Parkbank trugen sie den engen Zeitanzug, legten das Jackett nicht ab. Die Uhr war das Urbild, nach dem der Mensch geschaffen wurde. »Schau her, da kommt Zwanzig-Nach-Acht«, riefen sie, wenn ich finster dreinschaute. Sie waren unterwegs von einem Zeitzaun zum anderen, und dazwischen war die Ewigkeit verschwunden. Unterwarf ich mich nicht dem Zeitabsolutismus, sprang aus dem Uhrwerk ein wütender Teufel heraus und schrie: »Es ist fünf.« Die Liebevollen wiederum boten mir ihre Hilfe an und übernahmen die Gestaltung meiner Zukunft. Durchkreuzte ich den Ablauf, verhedderten sie sich wie Drähte in einem altertümlichen Apparat und riefen: »Moment mal!« Improvisation war Sand im Getriebe der schwerfälligen Technik. Der Apparat wurde abgeschaltet, die Abweichung ins Programm eingesetzt. Nach dem ärgerlichen Intermezzo warnten sie mich: »Keine Änderung mehr!« Da waren sie konsequent. Dieses Wort genoss hohes Ansehen.
    Ich hielt sie für verklemmt, sie mich für unberechenbar. Bei meinem geistesabwesenden Blick packte sie Misstrauen, als zöge ich das ganze Land mutwillig in den Morast hinab. Nur im Urlaub wurden sie neidisch auf meinen verruchten Umgang mit der Uhr, übten ihn hart und kamen trotzdem pünktlich zum Kamelreiten. Und wehe, ich verspätete mich schon wieder.
    Nicht der Krieg, aus dem er kommt, quält ihn, es ist die Krankheit, die ihn am

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