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Die undankbare Fremde

Die undankbare Fremde

Titel: Die undankbare Fremde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irena Brezna
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sprangen nicht von tierischen zu menschlichen Bedürfnissen über. Wollte ich das Thema wechseln, müsste ich einen Termin vereinbaren. Hätte ich bei uns an einer Weggabelung den Passanten über seinen Mops ausgefragt, hätte ich bloß verschlüsselt erfahren, dass er mich aufgabeln wollte.
    Mara fand heraus, dass Rückenschmerzen noch geeigneter waren, um Zuneigung zu erbeuten. Nie erlebten wir das Land hilfsbereiter als in der Vorbeugestellung. Vielleicht dachten die freien Bürger und Bürgerinnen, wir verbeugten uns vor ihnen, und waren gerührt. Sie fragten einfühlsam, ob sie uns in den Bus helfen dürfen. Dabei wollten die zu Pflegepersonal Mutierten wissen, wo wir wohnten, seit wann und in welchem Stock. Solche Fragen hielten sie für eine äußerst gewagte Annäherung. Danach plagten sie Gewissensbisse, sie seien uns zu nahegetreten.
    Im Krankenhaus öffnete sich der Himmel ganz. Die Patienten erhielten wohldosierte, heilungsfördernde Aufmerksamkeit, samt Streicheln, diesem seltenen Gut, das nicht einmal Eltern an ihre Kinder vergeudeten. In Fachschulen für Krankenschwestern und Heilpädagoginnen wurde gelehrt, dass Körperkontakt zum Beruf gehöre, leider, aber es müsse eben sein. Es wurde so fleißig berührt, dass es sich fast natürlich anfühlte, dazu ein aus dem Lehrbuch entlehntes Trostwort und ein verständnisvolles Nicken. Die Todgeweihten hatten es am besten. Sie wurden auch am Kopf gestreichelt. Hinter den Krankenhausmauern war ein Land im Land, hier herrschten lockere Sitten, der Vorwurf war verbannt, umso reichlicher verabreichte man Lob für einen folgsam geschluckten Löffel Mehlsuppe. Das Krankenhaus war ein Schlaraffenland. Einmal lag ich drei Tage lang dort, und danach verspürte ich Entzugserscheinungen, wenn ich daran vorbeiging.
    Auch außerhalb der Heilstätten war es möglich, Lob zu bekommen. Sagte Mara: »Ich sprechen Deutschland aber klein«, erhielt sie laute Anerkennung. Mit den Fremden sprach man laut, sie galten als hörgeschädigt. Auf jeden Fall als behindert, und zu Behinderten war man gütig. Die Behindertenpädagogik war hoch entwickelt. Die Behinderten wurden nicht versteckt in dunklen Kammern, sondern hinausgeführt in Gruppen, von Betreuern individuell eingehakt. Fremde Schwäche war liebenswert. Sollten die Schwachen sich allerdings anmaßen, über das erträgliche Maß zu Kräften zu kommen, entzog man ihnen die Liebe.
    Mara und ich malten uns ein bedrohliches Szenario aus: Eine große Gruppe schöner Menschen kommt in die Stadt, und ihr Strahlen löst Atomalarm aus. Strahlen darf nur der Herd. Nicht die Hausfrau. Erwartete meine Nachbarin ihren Konkubin, bürstete sie den Spültrog, statt sich selbst. Sie wusste, wohin der liebende Männerblick zu fallen pflegte. Der weibliche Körper erstreckte sich bis in die Küche hinein. »Gruß in die Küche«, hieß es, wenn ein Mann die Ehefrau seines Freundes mit Achtung bedachte.
    »Das Land braucht Haustiere, Behinderte und Fremde«, sagte Mara.
    Beim Anblick der Schwachen schwand die lähmende Schüchternheit, die Hemmschwelle fiel, die Einheimischen konnten ihre formelle Art ablegen und so freimütig sprechen, wie sie es gelernt hatten – überaus praktisch. Schon mäßigten sie lustvoll die umhertollenden Dackel und die unsicher torkelnden Fremden und wurden Zoodirektor, Kindergärtnerin, Heilpädagogin, Familientherapeut und später Integrationsbeamter. Und Bankangestellter. In der fernen Sphäre des Geldes – das wusste ich nur vom Hörensagen – weiteten sich die kleinlichen Grenzen. Dort war Wachstum gefragt, wurde Euphorie multipliziert, im Safe lagerten wertvolle Gefühle, versichert gegen Räuber von außen und nicht gegen die Maskierten von innen.
    Das Herz war arm dran! Ein überheblicher Kolonialherr unterdrückte es. Als wir entdeckten, dass das Land sich insgeheim nach Unabhängigkeit sehnte, danach, das verschüchterte Herz an die frische Luft hinauszuführen, legten wir los. Für Mara und mich war es leicht zu weinen, ewige Freundschaft zu schwören, uns an angespannte Körper anzuschmiegen, intime Gedanken zu verraten – und dann davonzugehen, als wäre nichts geschehen. Für uns zählte der Augenblick der hochschießenden Flamme. Danach blieb verbrannte Erde. Wir begegneten Angst und Misstrauen sowie Neid auf unsere unbändige Art. Manche verstanden unseren Ausbruch als den Anfang einer lebenslangen Freundschaft, vorsichtig stießen sie die Hintertür auf, wir bemerkten es nicht einmal, schon

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