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Die undankbare Fremde

Die undankbare Fremde

Titel: Die undankbare Fremde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irena Brezna
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melancholischen Augen bekommen, deren grüne Iris auf weißem Hintergrund unter dem oberen Lid halb verschwunden war. Und doch sahen sie mehr als erlaubt. Das Fremdsein schliff an mir wie ein Goldschmied. Im Sommer schwamm ich Schmetterling und kleidete mich so, dass die Schönheit hervortreten durfte. So zollte ich meiner Retterin Respekt. Sie ließ mich in Würde leben. Sie trug mich mit laszivem Gang. Manchmal dachte ich, sie sei ich und ich sei sie. Aber ich wusste, dass wir uns einmal trennen würden.
    Mara sagte, die weibliche Schönheit habe es schwer, egal, ob in Diktaturen oder Demokratien, überall sei sie gefährdet, der Staat sollte ein Sonderministerium zu ihrem Schutz gründen, mit Beamten, Schäferhunden und Soldaten, so groß wie das Verteidigungsministerium und so wichtig. Denn: »Schöne Mädchen sind wichtig«, sagte Mara. War unser fremdartiges Aussehen für die einen ein Grund, nicht um Einlass zu bitten, verstanden es andere als Freipass. Männer jeden Alters, jeder Schuhgröße und mit egal welchem Intelligenzquotienten meldeten mit Blicken, Pfiffen, Worten, Gesten, Griffen ihren Anspruch an. Manche bettelten darum, uns berühren zu dürfen, Süchtige, denen wir Stoff beschaffen sollten, als wären wir reiche Drogenbaroninnen. Wir ekelten uns, fürchteten uns und staunten, was unser Aussehen anrichtete. Man warf uns Fahrlässigkeit vor. Verdorben seien wir, reizten mit Gaben, ohne geben zu wollen. Wir reizten nicht, wir waren reizend.
    Schnell machte ich mir die Spielregeln zunutze. Ich wurde begehrt, war also kostbar. Dieses hochgeschossene Mädchen mit ungleichen Brüsten – die eine rund wie die einer Frau, die andere noch unreif spitz – bekam unverhofft Macht. Noch niemand hatte ihre nackte Brust gesehen, und schon gab es Narben von Blicken darauf. Eine Auszeichnung für Mut und eine Erinnerung an den Schmerz. Ausflüge in die Außenwelt waren Kämpfe, ich stand unter Beschuss der Sehnsüchte. Da bat mich ein Greis um Hilfe, ich betrat sein Haus, und er stieß mich zittrig aufs Bett. Schreiend entkam ich. Und der Lehrer starrte auf meinen Mund, als ich unregelmäßige Verben aufzählte, er verlor das Gleichgewicht und hängte sich an meinen Hals. Ich schüttelte ihn ab wie einen Maikäfer. Sollte ich die Schönheit ebenso abschütteln, sie in den Boden einstampfen und darauf ein Holzkreuz errichten? Behutsam tastete ich meinen Körper ab und fragte mich, was die anderen von mir wollten und mit welchem Recht. Wäre ich in Sicherheit, wenn ich das Geschenk der Weiblichkeit verschmähen, mich in Lumpen hüllen würde?
    Ich ließ mir das Meine nicht nehmen und ging zum Angriff über. Kam ich in eine Abendgesellschaft, überflog mein Blick alle weiblichen Gäste. So wie ein Mafiaboss sich vergewissert, ob ihm jemand das Revier streitig macht. Nein, keine war schöner als ich. Oh doch, da stand eine von meiner Art. Unsere Blicke kreuzten sich. Wir erkannten uns gegenseitig wie Mitglieder eines Geheimbundes und strebten aufeinander zu. Ich brauchte Verstärkung. Mara und ich – gemeinsam waren wir unbesiegbar. Gingen wir die Flusspromenade entlang, kam von den Bänken und Cafés stiller Beifall. Es war das Ankommen der Flüchtlingsmädchen, der Triumph über die soziale Hierarchie. Die Blicke wirbelten uns in die Höhe. Und schon träumten wir davon, Metropolen heimzusuchen, auch diese würden wir erobern. Die einheimischen Mädchen in begüterten Verhältnissen und bescheidenen Körpern taten es als Dummheit ab. Es fröstelte sie, wie wir uns aussetzten. Das war kein Fleiß, das war Theater, ein unseriöses Spiel. Spiele standen in Verruf, Fron war geachtet, die Schönheit wurde angehalten, sich nach unten anzupassen, am Boden zu kriechen. Nur kein Hervortun, als wäre es unfair den Mitbürgerinnen gegenüber.
    Wir waren nicht fröhlich. Die Melancholie tat ihr Werk. Die tragische Meisterin führte Regie. Gebrochen war unser Stil. Für uns herrschte stets der Ausnahmezustand. Wir zogen ins Feld und verstecken die Fremdheit nicht.
    Sie war unser Schmerz und unser Ass. Wir kleideten sie in grelle Stoffe aus Secondhandläden. Schaut her, so vorteilhaft kann die Not sein. Sie hat uns viel Empörung eingebracht. Wir sammelten eifrig Neid und kauften uns dafür Selbstachtung. Wir zeigten, was wir hatten, sparten nichts für später auf. Es herrschte Hunger nach Geltung, es gab nur das Jetzt. Wir wollten im Leben nicht Zuschauerinnen sein, wir verachteten die Zurückhaltung. Jahrmarktstimmung mit

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