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Die undankbare Fremde

Die undankbare Fremde

Titel: Die undankbare Fremde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irena Brezna
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Fanfaren, umherziehende Artistinnen, Kunststücke aus eigener Kraft. Ein Seiltanz. Der Hochmut schenkte uns das Gleichgewicht. Wir stürzten nie ab. Aber fast, hundertmal am Tag.
    Da kommt sie in einem halb durchsichtigen Rock, umrandet von roten Rüschen, als trüge sie Reizunterwäsche, die Hälfte ihres Busens guckt aus einem roten Leibchen hervor – die Worte »rot« und »schön« sind in ihrer Sprache miteinander verwandt. Der schwere Körper endet in roten Lackschuhen, droht diese zu zerquetschen. Sie klagt, dass sie von der Zwangsidee verfolgt werde, die Passanten lachten über sie. Die Kleider vermögen den Körper nicht am Überquellen zu hindern, und die sprudelnden Worte verraten ihr Intimstes. Seit sie mehrere Männer vergewaltigt haben, ist sie nackt. In den Träumen sieht sie ihren ermordeten Ehemann, wie er die Möbel packt und sie aus der gemeinsamen Wohnung hinausträgt. Die Seele entleert sich, der Tote trägt die Seeleninhalte hinaus. Damals, nachdem sie an seiner Leiche Spuren von Gewalt gefunden hatte, machte sie sich auf die Suche nach den Mördern. Ihr Mann war ein ho hes Tier gewesen, und politische Kreise hatten sie vor Nachforschungen gewarnt. Sie gab nicht auf, und da hat man ihr den Denkzettel verpasst. Das bestimmt seither ihr Leben.
    Der Psychiater ist ebenfalls fremd hier, er hat ein ovales Gesicht mit grünen Augen. Seine ausgesuchte Höflichkeit ist schelmisch und geschmeidig, die Sprachgewalt imposant. Ich schwinge mich mit Leichtigkeit auf eine höhere Sprachebene hinauf und stelle mit Freude fest, dass ich geistesgegenwärtig dolmetsche, auf elegante Formulierungen achte. Das sind Sprachgeschenke an ihn.
    »Doktor, meine Augen suchen im Supermarkt die Cognacflasche, dabei ist es unvernünftig, bei den vielen Medikamenten.«
    »Wir können nicht alles kontrollieren. Aus der Tiefe steigen unvernünftige Wünsche in uns auf. Kontrolle ist nützlich, aber nur eine achtzigprozentige. Wenn wir nämlich nicht sündigen, kann uns niemand verzeihen.«
    Wohin mit dem Begehren, das in mir hochsteigt? Ich versuche mit aller Kraft, es unter Kontrolle zu bringen. Und der Seelenfachmann sagt, ich solle sündigen, er würde es mir verzeihen. Seine Antworten sind auch für mich bestimmt, vor allem für mich. Gleichzeitig weiß ich, dass ich hier die Dolmetscherin bin und mir den doppelten Boden einbilde. Ich kann den Mann nicht mehr anschauen, fühle mich entblößt, meine verbotenen Gedanken sind für ihn sichtbar. Das Leben ist prall, Überwältigendes geschieht.
    »Doktor, wenn mich mein Mann im Traum besucht, dann wird jemand sterben.«
    »Haben Sie es überprüft, ist schon jemand gestorben?«
    Sie holt Luft:
    »Morgen werde ich in der Kardiologie mein Todesurteil erfahren.«
    Der Psychiater bringt Argumente dagegen, aber die Patientin will sich die Tragödien nicht nehmen lassen, diese Orden, die ihr das Leben verliehen hat. Wer Tragisches erlebt, ist jemand. Jetzt trumpft sie mit Selbsthass auf:
    »Doktor, wenn ich mich im Spiegel anschaue, möchte ich mich ohrfeigen.«
    »Sie sollten sich Freiräume suchen, in denen Sie Freude haben können.«
    Will der Mann sagen, dass er mit mir gemeinsame Freuden in Betracht zieht? Die Patientin mit ihrem Gejammer verblasst, sie ist lediglich unsere Kupplerin. Mir droht der Realitätsverlust. Sieht er das und therapiert er mich mit? Nein, er ist aus der Psychiaterrolle ausgestiegen und treibt den Flirt weiter. Eine männliche Allmachtphantasie, gleich zwei Frauen von sich abhängig zu machen. Vielleicht geschieht es ihm einfach, wie mir, ein Unterbewusstes spricht zärtlich zu einem anderen Unterbewussten. Zwanzig Prozent an unkontrollierbaren Wünschen fliegen hin und her, füllen den hohen Raum des alten Gebäudes der psychiatrischen Poliklinik.
    Unsere Zweisamkeit braucht einen Dritten. Ich bin das Zentrum, in dem die Fäden zusammenlaufen. Er kennt nur die Hälfte meines Sprachtuns, die andere bleibt ihm verborgen, als wäre ich halb verhüllt und läge halb im Dunkeln. Ich könnte mogeln. Er muss mir vertrauen. Dieses Vertrauen ist Liebe. Ich streichle seine Worte, die ich in eine andere Sprache verwandle, und schenke ihm neue Worte, schmücke sie wie einen Brautkranz. Da überkommt mich Angst, die Patientin könnte genesen oder sich umbringen oder abgeschoben werden und ich würde den Psychiater nie mehr sehen.
    »Doktor, wenn ich auf der Straße gehe, wage ich niemanden anzuschauen«, klagt die Patientin.
    »Das Wegschauen kostet Sie Energie.

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