Die unendliche Geschichte
Murhu das Freudengeschrei der alten Mauleselin. Was übrigens Held Hynreck betrifft, so gelang es ihm tatsächlich, nach Morgul, dem Land des Kalten Feuers zu kommen. Er drang auch in den versteinerten Wald Wodgabay ein und überwand die drei Gräben um die Burg Ragar. Er fand das bleierne Beil und besiegte Smärg, den Drachen. Dann brachte er Oglamár zu ihrem Vater zurück, obwohl sie jetzt gern bereit gewesen wäre, ihn zu heiraten. Aber jetzt wollte er nicht mehr. Doch das ist eine andere Geschichte und soll ein andermal erzählt werden.
Regen fiel dicht und schwer aus dunklen, fast über den Köpfen der Reiter dahinfegenden Wolken. Dann begann es in großen, klebrigen Flocken zu schneien, und schließlich schneite und regnete es in einem. Der Sturmwind war so stark, daß sogar die Pferde sich schräg gegen ihn anstemmen mußten. Die Mäntel der Reiter waren schwer vor Nässe und schlugen klatschend auf die Rücken der Tiere.
Viele Tage waren sie nun schon unterwegs und die drei letzten davon waren sie über diese Hochebene geritten. Das Wetter hatte sich von Tag zu Tag verschlechtert, und der Boden war zu einem Gemisch aus Schlamm und scharfkantigen Steinbrocken geworden, das das Vorankommen immer mühsamer machte. Da und dort standen Gruppen von Buschwerk oder auch kleine, schiefgeblasene Gehölze, sonst bot sich dem Auge keine Abwechslung. Bastian, der auf der Mauleselin Jicha voranritt, war mit seinem glitzernden Silbermantel noch vergleichsweise gut dran. Es erwies sich, daß dieser, obgleich leicht und dünn, hervorragend wärmte, und das Wasser an ihm abperlte. Hýkrions, des Starken, untersetzte Gestalt verschwand fast in einem blauen, dicken Wollmantel. Der feingliedrige Hýsbald hatte sich die große Kapuze seiner braunen Lodenkotze über die roten Haare gezogen. Und Hýdorns grauer Segeltuchumhang klebte an seinen hageren Gliedern.
Dennoch waren die drei Herren auf ihre etwas rauhe Art guter Dinge. Sie hatten nicht erwartet, daß die Abenteuerreise mit Herrn Bastian eine Art Sonntagsspaziergang werden würde. Ab und zu sangen sie mehr herzhaft als schön mit lauten Stimmen gegen den Sturm an, mal einzeln, mal im Chor. Ihr Lieblingslied war offenbar eines, das mit den Worten begann:
»Als ich ein kleines Büblein war, juppheißa bei Regen und Wind…«
Wie sie erklärten, stammte es von einem Phantásienreisenden aus längst vergangenen Tagen, der Schexpir oder so ähnlich geheißen hatte.
Der einzige in der Gruppe, dem weder Nässe noch Kälte irgendwelchen Eindruck zu machen schien, war Atréju. Wie meistens seit Beginn der Reise, jagte er auf Fuchurs Rücken zwischen und über den Wolkenfetzen hin, eilte weit voraus, um das Land zu erkunden, und kehrte wieder zurück, um zu berichten.Sie alle, sogar der Glücksdrache, waren der Meinung, sie befänden sich auf der Suche nach dem Weg, der Bastian in seine Welt zurückführen würde. Auch Bastian glaubte es. Er wußte selbst nicht, daß er Atréjus Vorschlag eigentlich nur aus Freundschaft und aus gutem Willen beigestimmt hatte, daß er es sich in Wirklichkeit aber überhaupt nicht wünschte. Aber Phantásiens Geographie wird durch die Wünsche bestimmt, ob sie einem nun bewußt sind oder nicht. Und da Bastian es war, der zu entscheiden hatte, in welcher Richtung sie weiterzogen, kam es, daß ihr Weg sie immer tiefer nach Phantasien hineinführte - und das hieß, auf jenen Mittelpunkt zu, den der Elfenbeinturm bildete. Was das für ihn bedeutete, sollte er erst später erfahren. Vorläufig ahnte weder er noch einer seiner Reisebegleiter etwas davon.
Bastians Gedanken waren mit etwas anderem beschäftigt.
Gleich am zweiten Tage nach ihrem Aufbruch aus Amargánth hatten sie in den Wäldern, die Murhu umgaben, eine deutliche Spur des Drachen Smärg gefunden. Ein Teil der Bäume, die hier standen, war versteinert. Offensichtlich hatte das Ungeheuer sich da niedergelassen und die Bäume mit dem eiskalten Feuer seines Rachens gestreift. Die Abdrücke seiner riesigen Heuschreckenfüße waren leicht zu erkennen gewesen. Atréju, der sich darauf verstand, hatte noch andere Spuren gefunden, nämlich die von Held Hynrecks Pferd. Also war Hynreck dem Drachen auf den Fersen.
»Ganz zufrieden bin ich damit nicht«, hatte Fuchur halb im Scherz gesagt und seine rubinroten Augenbälle gerollt, »denn ob Smärg nun ein Scheusal ist oder nicht, er ist immerhin ein - wenn auch noch so entfernter - Verwandter von mir.«
Sie waren Held Hynrecks Spur nicht
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