Die unendliche Geschichte
lief, denn er taumelte und stürzte ab und zu, raffte sich auf und rannte weiter, bis er sich vor Bastian niederwarf und nach Luft rang. Bastian beugte sich zu ihm nieder.
»Was gibt es, daß du es wagst, diese Zeremonie zu stören?«
»Krieg, o Herr!« stieß der Faun hervor. »Atréju hat viele Aufrührer gesammelt und ist mit drei Heeren unterwegs hierher. Sie verlangen, daß du AURYN ablegst, und wenn du es nicht freiwillig tust, so wollen sie dich mit Gewalt dazu zwingen.«
Plötzlich herrschte Totenstille. Die aufpeitschende Musik und das schrille Jubelgeschrei waren auf einen Schlag verstummt. Bastian blickte starr vor sich hin. Er war bleich geworden. Nun kamen auch die drei Herren Hýsbald, Hýkrion und Hýdorn gelaufen. Sie schienen außerordentlich guter Laune.
»Endlich gibt’s was für uns zu tun, Herr!« riefen sie durcheinander.»Uberlaß uns das nur ! Du laß dich in deiner Festlichkeit gar nicht stören ! Wir suchen uns ein paar tüchtige Leute zusammen und ziehen den Rebellen entgegen. Wir werden ihnen eine Lehre erteilen, an die sie noch lange denken sollen.«
Unter den anwesenden vielen tausend Geschöpfen Phantásiens waren manche, die ganz und gar nicht zu kriegerischen Handlungen zu gebrauchen waren. Aber die Mehrzahl konnte durchaus mit irgendeiner Waffe umgehen, mit der Keule, dem Schwert, dem Bogen, der Lanze, der Schleuder oder auch einfach mit ihren Zähnen oder Klauen. Diese alle sammelten sich um die drei Herren, die das Heer anführten. Während sie abzogen, blieb Bastian mit der großen Schar der weniger Wehrhaften zurück, um die Zeremonie fortzusetzen. Aber von nun an war er nicht mehr sehr bei der Sache. Immer wieder schweiften seine Augen zum Horizont, den er von seinem Platz aus gut sehen konnte. Riesige Staubwolken, die sich dort erhoben, ließen ihn ahnen, mit welcher Heeresmacht Atréju dort anrückte.
»Sei ohne Sorge«, sagte Xayíde, die neben Bastian getreten war, »noch haben meine schwarzen Panzerriesen nicht eingegriffen. Sie werden deinen Elfenbeinturm verteidigen, und gegen sie kann niemand aufkommen - außer dir und deinem Schwert.«
Einige Stunden später trafen die ersten Schlachtberichte ein. Auf Seiten Atréjus kämpfte fast das ganze Volk der Grünhäute, aber auch an die zweihundert Kentauren, achtundfünfzig Felsenbeißer, fünf Glücksdrachen, die von Fuchur angeführt wurden, griffen ständig aus der Luft ins Kampfgeschehen ein, darüber hinaus eine Schar von weißen Riesenadlern, die aus dem Schicksalsgebirge herbeigeflogen waren, und sehr viele andere Wesen. Sogar Einhörner seien gesichtet worden.
Zwar waren sie zahlenmäßig dem Heer, das die Herren Hýkrion, Hýsbald und Hýdorn anführten, weitaus unterlegen, doch kämpften sie mit solcher Entschlossenheit, daß sie das Heer, das für Bastian stritt, immer weiter zum Elfenbeinturm zurücktrieben. Bastian wollte selbst hinaus, um die Führung seines Heers in die Hand zu nehmen, aber Xayíde riet ihm davon ab.
»Bedenke, Herr und Meister«, sagte sie, »daß es sich für deinen neuen Rang als Kaiser Phantásiens nicht schickt, einzugreifen. Überlasse das getrost deinen Getreuen.« Die Schlacht dauerte den ganzen restlichen Tag. Jeder Fußbreit des Gartenlabyrinths wurde von Bastians Heer verbissen verteidigt und verwandelte sich in ein zerstampftes blutiges Schlachtfeld. Als es schon anfing dunkel zu werden, hatten die ersten Aufrührer den Fuß des Elfenbeinturmes erreicht.
Und nun schickte Xayíde ihre schwarzen Panzerriesen mit und ohne Rösser los, die furchtbar unter Atréjus Getreuen zu wüten begannen.
Ein genauer Bericht dieser Schlacht um den Elfenbeinturm ist unmöglich, und darum muß hier darauf verzichtet werden. Noch bis heute gibt es in Phantasien unzählige Lieder und Berichte, die von diesem Tag und dieser Nacht handeln, denn jeder, der daran teilgenommen hat, hat dabei etwas anderes erlebt. Das alles sind Geschichten, die vielleicht ein andermal erzählt werden sollen.
Einige Stimmen berichten, daß es auch auf Atréjus Seite einen oder sogar mehrere weiße Magier gegeben habe, die Xayídes Zauberkräften gewachsen waren. Mit Sicherheit weiß man darüber nichts. Vielleicht liegt darin die Erklärung, wie es Atréju und seinen Leuten gelingen konnte, trotz der schwarzen Panzerriesen den Elfenbeinturm zu erobern. Wahrscheinlicher ist jedoch ein anderer Grund : Atréju kämpfte nicht für sich, sondern für seinen Freund, den er besiegen wollte, um ihn zu retten.
Die Nacht
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