Die unendliche Geschichte
glänzen begannen, erzählte ihm Xayíde von einem neuen Phantasien, von einer Welt, die bis in alle Einzelheiten nach Bastians Belieben zu gestalten war, in der er nach Willkür schaffen und vernichten konnte, in der es keine Schranken und Bedingungen mehr gab, wo jedes Geschöpf, ob gut oder böse, schön oder häßlich, töricht oder weise, einzig seinem Willen entsprungen war und er erhaben und rätselhaft über allem thronte und die Geschicke lenkte in ewigem Spiel. »Erst dann«, schloß sie zuletzt, »bist du wahrhaftig frei, frei von allem, was dich beengt, und frei zu tun, was du willst. Und wolltest du nicht deinen Wahren Willen finden? Das ist er!«Noch am gleichen Morgen wurde das Zeltlager abgebrochen, und der vieltausendköpfige Zug, angeführt von Bastian und Xayíde in der Korallensänfte, machte sich auf den Weg zum Elfenbeinturm. Eine schier endlose Kolonne zog über die verschlungenen Wege des Labyrinths. Und als deren Spitze gegen Abend den Elfenbeinturm erreichte, hatten die letzten Nachzügler gerade erst die äußere Grenze des Blumengartens überschritten. Der Empfang, der Bastian bereitet wurde, war so festlich, wie er es sich nur wünschen konnte. Alles, was zum Hofstaat der Kindlichen Kaiserin gehörte, war auf den Beinen. Auf allen Zinnen und Dächern standen Elben-Wächter mit blitzenden Trompeten und schmetterten, was ihre Lungen hergaben. Die Gaukler zeigten ihre Kunststücke, die Sterndeuter verkündeten Bastians Glück und Größe, die Bäcker buken Torten so hoch wie Berge, die Minister und Würdenträger aber gingen neben der Korallensänfte her und geleiteten sie durch das Gewühl der Menge die Hauptstraße hinauf, die in einer immer enger werdenden Spirale um den kegelförmigen Elfenbeinturm lief, bis dorthin, wo das große Tor ins Innere des eigentlichen Palastteils führte. Bastian stieg, gefolgt von Xayíde und allen Würdenträgern, die schneeweißen Stufen der breiten Treppe empor, ging weiter durch alle Säle und Korridore, durch das zweite Tor, immer höher hinauf, durch den Garten, in dem Tiere, Blumen und Bäume aus Elfenbein waren, über die geschwungenen Brücken und durch das letzte Tor. Er wollte in jenen Pavillon, der die Spitze des riesigen Turmes bildete und der die Gestalt einer Magnolienblüte hatte. Doch zeigte es sich, daß die Blüte geschlossen war und daß das letzte Stück Wegs, das zu ihr emporführte, so glatt und steil war, daß niemand hinaufkommen konnte.
Bastian erinnerte sich, daß auch der schwerverwundete Atréju damals nicht hatte hinaufgelangen können, jedenfalls nicht aus eigener Kraft -denn niemand, der je dort hinaufgekommen ist, weiß, wie es ihm gelang. Es muß einem geschenkt werden. Aber Bastian war nicht Atréju. Wenn einer von nun an dieses letzte Stück Wegs als Gnade zu verschenken hatte, so war er es. Und er war nicht gesonnen, sich jetzt noch auf seinem Weg aufhalten zu lassen.
»Ruft Handwerker herbei!« befahl er, »sie sollen mir Stufen in die glatte Oberfläche schlagen oder eine Leiter bauen oder sich irgend etwas anderes ausdenken. Denn ich wünsche, dort oben meinen Wohnsitz zu nehmen.« »Herr«, wagte einer der ältesten Ratgeber einzuwenden, »dort oben wohnt unsere Goldäugige Gebieterin der Wünsche, wenn sie bei uns ist.«
»Tut, was ich euch befehle!« herrschte Bastian ihn an.
Die Würdenträger wurden bleich und wichen vor ihm zurück. Aber sie gehorchten. Handwerker wurden herbeigeholt, die mit schweren Hämmern und Meißeln ans Werk gingen. Aber so sehr sie sich auch abplagten, es gelang ihnen nicht, auch nur das kleinste Stück aus dem Berggipfel herauszuschlagen. Die Meißel sprangen ihnen aus den Händen, und nicht einmal ein Kratzer blieb in der glatten Oberfläche zurück.
»Erfindet irgend etwas anderes«, sagte Bastian und wandte sich unwillig ab, »denn ich will dort hinauf. Aber denkt daran, daß meine Geduld bald zu Ende sein könnte.« Dann ging er zurück und ergriff vorerst einmal mit seinem Hofstaat, zu dem vor allem Xayíde, die drei Herren Hýsbald, Hýkrion und Hýdorn sowie Illuán, der blaue Dschinn, gehörten, von den übrigen Räumen des Palastbezirkes Besitz.
Noch in der gleichen Nacht berief er alle Würdenträger, Minister und Ratgeber, die bisher Mondenkind gedient hatten, zu einer Versammlung ein, die in jenem großen Rundsaal stattfand, wo einst der Ärztekongreß getagt hatte. Er verkündete ihnen, daß die Goldäugige Gebieterin ihm, Bastian Balthasar Bux, alle Macht über das
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