Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die unendliche Geschichte

Die unendliche Geschichte

Titel: Die unendliche Geschichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Ende
Vom Netzwerk:
Tiefe unserer Erde. Dort lagern sich die vergessenen Träume ab in feinen, feinen Schichten, eine über der anderen. Je tiefer man hinuntergräbt, desto dichter liegen sie. Ganz Phantasien steht auf Grundfesten aus vergessenen Träumen.«
    »Sind auch meine dabei?« fragte Bastian mit großen Augen.
    Yor nickte nur.
    »Und du meinst, ich muß sie finden?« forschte Bastian weiter.
    »Wenigstens einen. Einer genügt«, antwortete Yor.
    »Aber wozu?« wollte Bastian wissen.
    Der Bergmann wandte ihm sein Gesicht zu, das jetzt nur noch vom Schein des kleinen Feuers auf dem Herd erleuchtet wurde. Seine blinden Augen blickten wieder durch Bastian hindurch wie in weite Ferne.»Hör zu, Bastian Balthasar Bux«, sagte er, »ich rede nicht gern viel. Die Stille ist mir lieber. Aber dieses eine Mal sage ich es dir. Du suchst das Wasser des Lebens. Du möchtest lieben können, um zurückzufinden in deine Welt. Lieben - das sagt sich so ! Das Wasser des Lebens wird dich fragen: Wen? Lieben kann man nämlich nicht einfach so irgendwie und allgemein. Aber du hast alles vergessen außer deinem Namen. Und wenn du nicht antworten kannst, wirst du nicht trinken dürfen. Drum kann dir nur noch ein vergessener Traum helfen, den du wiederfindest, ein Bild, das dich zur Quelle führt. Aber dafür wirst du das Letzte vergessen müssen, was du noch hast: Dich selbst. Und das bedeutet harte und geduldige Arbeit. Bewahre meine Worte gut, denn ich werde sie nie wieder aussprechen.« Danach legte er sich auf seine Holzpritsche und schlief ein. Bastian blieb nichts anderes übrig, als mit dem harten, kalten Boden als Lagerstätte vorlieb zu nehmen. Aber das machte ihm nichts aus.
    Als er am nächsten Morgen mit klammen Gliedern erwachte, war Yor schon fort gegangen. Wahrscheinlich war er in die Grube Minroud eingefahren. Bastian nahm sich selber einen Teller der heißen Suppe, die ihn erwärmte, aber ihm nicht besonders mundete. In ihrer Salzigkeit erinnerte sie ein wenig an den Geschmack von Tränen und Schweiß. Dann ging er hinaus und wanderte durch den Schnee der weiten Ebene an den unzähligen Bildern vorüber. Eines nach dem anderen betrachtete er aufmerksam, denn nun wußte er ja, was für ihn davon abhing, aber er konnte keines entdecken, das ihn in irgendeiner Weise besonders anrührte. Sie waren ihm alle ganz gleichgültig.
    Gegen Abend sah er Yor in einem Förderkorb aus dem Schacht des Bergwerks aufsteigen. Auf dem Rücken trug er in einem Gestell einige verschieden große Tafeln des hauchdünnen Marienglases. Bastian begleitete ihn schweigend, während er noch einmal weit hinausging auf die Ebene und seine neuen Funde mit größter Behutsamkeit am Ende einer Reihe in den weichen Schnee bettete. Eines der Bilder stellte einen Mann dar, dessen Brust ein Vogelkäfig war, in dem zwei Tauben saßen. Ein anderes zeigte eine steinerne Frau, die auf einer großen Schildkröte ritt. Ein sehr kleines Bild ließ nur einen Schmetterling erkennen, dessen Flügel Flecken in der Form von Buchstaben aufwiesen. Es waren noch einige andere Bilder da, aber keines sagte Bastian irgend etwas.
    Als er mit dem Bergmann wieder in der Hütte saß, fragte er:
    »Was geschieht mit den Bildern, wenn der Schnee schmilzt?«
    »Hier ist immer Winter«, entgegnete Yor.
    Das war ihre ganze Unterhaltung an diesem Abend.
    Während der folgenden Tage suchte Bastian weiter unter den Bildern nach einem, das er wiedererkannte oder das ihm wenigstens etwas Besonderes bedeutete - aber vergebens. Abends saß er mit dem Bergmann in der Hütte, und da dieser schwieg, gewöhnte Bastian sich daran, ebenfalls zu schweigen. Auch die behutsame Art sich zu bewegen, um kein Geräusch zu machen, das die Bilder zerfallen lassen könnte, übernahm er nach und nach von Yor. »Jetzt habe ich alle Bilder gesehen«, sagte Bastian eines Abends, »für mich ist keines darunter.«
    »Schlimm«, antwortete Yor.
    »Was soll ich tun?« fragte Bastian, »soll ich auf die neuen Bilder warten, die du heraufbringst?«
    Yor überlegte eine Weile, dann schüttelte er den Kopf.
    »Ich an deiner Stelle«, flüsterte er, »würde selbst in die Grube Minroud einfahren und vor Ort graben.«
    »Aber ich habe nicht deine Augen«, meinte Bastian, »ich kann in der Finsternis nicht sehen.« »Hat man dir denn kein Licht gegeben auf deiner weiten Reise?« fragte Yor und blickte wieder durch Bastian hindurch, »keinen leuchtenden Stein, gar nichts, was dir jetzt helfen könnte?«
    »Doch«, antwortete Bastian

Weitere Kostenlose Bücher