Die unendliche Geschichte
der Öffnung des Torbogens vorbei, hinter der sich nur die weite leere Ebene erstreckte, dann rückte der linke Torpfeiler in Atréjus Sicht, und hier saß in derselben Haltung eine zweite Sphinx. Ihr mächtiger Körper schimmerte seltsam bleich und wie aus flüssigem Silber im Mondenschein. Sie schien die erste Sphinx unverwandt anzustarren, so wie die erste reglos in ihre Richtung geblickt hatte. »Sind es Statuen?« fragte Atréju leise, ohne sein Auge abwenden zu können. »O nein«, antwortete Engywuck und kicherte, »es sind wirkliche, lebende Sphinxen - und wie lebendig! Fürs erste hast du genug gesehen. Komm, gehen wir wieder runter. Werde dir alles erklären.«
Und er hielt die Hand vor das Fernrohr, so daß Atréju nichts mehr sah. Schweigend gingen sie den Weg zurück.
Fuchur schlief noch immer tief, als Engywuck mit Atréju zur Gnomenhöhle zurückkehrte. Die alte Urgl hatte inzwischen das Tischchen ins Freie hinausgeschafft und es mit allerhand Süßigkeiten und eingedickten Säften aus Beeren und Pflanzen gedeckt.
Außerdem standen kleine Trinknäpfchen da und ein Kännchen voll duftendem heißen Kräutertee. Zwei winzige Windlichter, die mit öl gespeist wurden, vervollständigten die Szene.
»Hinsetzen!« befahl das Gnomenweibchen. »Atréju muß erst mal was essen und trinken, damit er zu Kräften kommt. Die Arznei allein genügt nicht.«
»Danke«, sagte Atréju, »ich fühle mich schon sehr gut.«
»Keine Widerrede!« schnaubte die Urgl, »solang du hier bist, tust du, was man dir sagt, verstanden! Das Gift in deinem Leib ist neutralisiert. Brauchst dich also nicht mehr zu beeilen, mein Junge. Hast so viel Zeit, wie du willst, also nimm dir auch Zeit.« »Es geht nicht nur um mich«, wandte Atréju ein, »die Kindliche Kaiserin liegt im Sterben. Vielleicht geht es schon jetzt um jede Stunde.«
»Schnickschnack!« brummte die kleine Alte, »mit Hast erreicht man gar nichts. Setz dich! Iß! Trink! Hopp, wird’s bald?«
»Besser, man gibt ihr nach«, flüsterte Engywuck, »hab’ so meine Erfahrung mit dem Weib. Wenn sie was will, hilft alles nichts. Müssen außerdem viel besprechen, wir beide.« Atréju setzte sich also mit untergeschlagenen Beinen vor das winzige Tischchen und langte zu. Bei jedem Schluck und bei jedem Bissen war ihm tatsächlich, als ob goldenes, warmes Leben in seine Adern und Muskeln strömte. Erst jetzt merkte er, wie entkräftet er gewesen war.
Bastian lief das Wasser im Mund zusammen. Ihm war plötzlich, als ob er den Duft der Gnomenmahlzeit roch. Er schnupperte in der Luft herum, aber es war natürlich nur Einbildung gewesen.
Sein Magen knurrte vernehmlich. Er konnte es nicht mehr aushaken. Er holte den Rest seines Pausebrotes und den Apfel aus seiner Mappe und aß beides auf. Danach war ihm etwas besser, obwohl er noch längst nicht satt war.
Dann wurde ihm klar, daß dies seine letzte Mahlzeit gewesen war. Das Wort erschreckte ihn. Er versuchte, nicht mehr daran zu denken.
»Wo hast du nur all die guten Sachen her«, sagte Atréju zur Urgl.
»Ja, Söhnchen«, sagte sie, »man muß weit herumlaufen, weit herum, um die richtigen Krauter und Pflanzen zu finden. Aber er, dieser Dickschädel von Engywuck, will ja ausgerechnet hier wohnen - wegen seiner wichtigen Studien! Wie man das Essen auf den Tisch bringt, kümmert ihn nicht.«
»Weib«, antwortete Engywuck würdevoll, »was verstehst du davon, was wichtig ist und was nicht. Hebe dich hinweg und laß uns reden!«
Die Urgl verzog sich maulend in die kleine Höhle, wo sie mit allerhand Geschirr herumlärmte.
»Laß sie nur!« raunte Engywuck, »sie ist eine gute alte Haut, muß nur manchmal was zu mummeln haben. Hör zu, Atréju! Werde dir jetzt einiges über das Südliche Orakel erklären, was du wissen mußt. Ist nicht ganz einfach, bis zur Uyulála vorzudringen. Ziemlich schwierig sogar. Möchte dir aber keinen wissenschaftlichen Vortrag halten. Ist vielleicht besser, wenn du Fragen stellst. Verliere mich leicht ein bißchen in Einzelheiten. Also frag!« »Gut«, meinte Atréju, »wer oder was also ist die Uyulála?«
»Verflixt!« knurrte Engywuck und funkelte ihn verärgert an, »du fragst so direkt wie meine Alte. Kannst du nicht mit was anderem anfangen?«
Atréju überlegte und fragte dann:
»Dieses große Felsentor mit den Sphinxen, das du mir gezeigt hast-ist das der Eingang?« »Schon besser!« antwortete Engywuck, »so kommen wir weiter. Das Felsentor ist der Eingang, aber danach kommen noch
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