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Die unendliche Geschichte

Die unendliche Geschichte

Titel: Die unendliche Geschichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Ende
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Oval bildeten. Und in diesem Oval stand der Titel:

    Bastians Gedanken verwirrten sich. Das war doch genau das Buch, in dem er gerade las! Er schaute es noch einmal an. Ja, kein Zweifel, es war das Buch, das er in der Hand hatte, von dem da die Rede war. Aber wie konnte dieses Buch denn in sich selbst vorkommen?
    Die Kindliche Kaiserin war nahe herangetreten und sah nun auf der anderen Seite des schwebenden Buches das Gesicht eines Mannes, das von unten her aus den aufgeschlagenen Seiten bläulich beleuchtet wurde. Dieser Schimmer ging von der Schrift im Buch aus, die blaugrün war.
    Das Gesicht des Mannes sah aus wie die Rinde eines uralten Baumes, so durchpflügt war es von Furchen. Sein Bart war weiß und lang und seine Augen lagen so tief in dunklen Höhlen, daß sie nicht zu sehen waren. Er trug eine blaue Mönchskutte mit einer Kapuze über dem Kopf und hielt in der Hand einen Schreibstift, mit dem er in dem Buch schrieb. Er blickte nicht auf.
    Die Kindliche Kaiserin stand lange Zeit schweigend und sah ihm zu. Es war kein eigentliches Schreiben, was er tat, vielmehr glitt sein Stift langsam über die leere Seite hin und die Buchstaben und Wörter bildeten sich wie von selbst, sie tauchten gleichsam aus der Leere auf. Die Kindliche Kaiserin las, was da stand, und es war genau das, was in diesem Augenblick geschah, nämlich: »Die Kindliche Kaiserin las, was da stand…«
    »Alles, was geschieht«, sagte sie, »schreibst du auf.«
    »Alles, was ich aufschreibe, geschieht«, war die Antwort. Und wieder war es diese tiefe, dunkle Stimme, die sie wie ein Echo ihrer eigenen Stimme vernommen hatte. Das Eigenartige war, daß der Alte vom Wandernden Berge den Mund nicht geöffnet hatte. Er hatte ihre und seine Worte hingeschrieben, und sie hatte sie so gehört, als ob sie sich nur erinnere, daß er eben gesprochen habe. »Du und ich«, fragte sie, »und ganz Phantasien - alles ist in diesem Buch verzeichnet?«
    Er schrieb und zugleich vernahm sie seine Antwort:
    »Nicht so. Dieses Buch ist ganz Phantasien und du und ich.«
    »Und wo ist dieses Buch?«
    »Im Buch«, war die Antwort, die er schrieb.
    »Dann ist es nur Schein und Widerschein?« fragte sie.
    Und er schrieb und sie hörte ihn sagen:
    »Was zeigt ein Spiegel, der sich in einem Spiegel spiegelt? Weißt du das, Goldäugige Gebieterin der Wünsche?«
    Die Kindliche Kaiserin schwieg eine Weile und der Alte schrieb zugleich auf, daß sie schwieg.
    Dann sagte sie leise: »Ich brauche deine Hilfe.«
    »Ich weiß«, antwortete und schrieb er.
    »Ja«, meinte sie, »so muß es wohl sein. Du bist die Erinnerung Phantiens und weißt alles, was geschehen ist bis zu diesem Augenblick. Aber kannst du nicht vorblättern in deinem Buch und sehen, was erst geschehen wird?«
    »Leere Seiten!« war die Antwort. »Ich kann nur zurückschauen auf das, was geschehen ist. Ich konnte es lesen, während ich es schrieb. Und ich weiß es, weil ich es las. Und ich schrieb es, weil es geschah. So schreibt sich die Unendliche Geschichte selbst durch meine Hand.« »Du weißt also nicht, warum ich zu dir gekommen bin?«
    »Nein«, hörte sie seine dunkle Stimme, während er schrieb, »und ich wollte, du hättest es nicht getan. Durch mich wird alles unveränderlich und endgültig-auch du, Goldäugige Gebieterin der Wünsche. Dieses Ei ist dein Grab und dein Sarg. Du bist in die Erinnerung Phantásiens eingegangen. Wie willst du diesen Ort je wieder verlassen?«
    »Jedes Ei«, antwortete sie, »ist der Anfang neuen Lebens.«
    »Wahr«, schrieb und sagte der Alte, »aber nur, wenn seine Schale aufspringt.« »Du kannst sie öffnen«, rief die Kindliche Kaiserin, »du hast mich eingelassen.« Der Alte schüttelte den Kopf und schrieb es auf.
    »Es war deine Kraft, die es bewirkte. Aber da du nun hier bist, hast du sie nicht mehr. Wir sind eingeschlossen für immer. Wahrlich, du hättest nicht kommen dürfen! Dies ist das Ende der Unendlichen Geschichte.«
    Die Kindliche Kaiserin lächelte und schien nicht im geringsten beunruhigt.
    »Du und ich«, sagte sie, »vermögen es nicht mehr. Aber es gibt einen, der es kann.« »Einen neuen Anfang schaffen«, schrieb der Alte, »kann nur ein Menschenkind.« »Ja«, erwiderte sie, »ein Menschenkind.«
    Langsam hob der Alte vom Wandernden Berge seinen Blick und sah die Kindliche Kaiserin zum ersten Mal an. Es war, als käme dieser Blick vom anderen Ende des Universums, aus solcher Ferne kam er und aus solcher Dunkelheit. Sie erwiderte ihn mit ihren

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