Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Unermesslichkeit

Die Unermesslichkeit

Titel: Die Unermesslichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Vann
Vom Netzwerk:
Rhoda. Herrgott.
    Entschuldige, Rhoda. Auf dich habe ich immer zählen können. Du hast immer geholfen, selbst als du klein warst. So bist du einfach, das hat nichts mit mir oder deinem Vater zu tun.
    Danke, Mom.
    Dann waren sie im Wohnraum, wo Gary Pasta und Salat auf den Tisch gestellt hatte.
    Der Mann, mein Ehemann, sagte Irene. Hat das Abendessen bereitet. Danke.
    Gary sah aus, als wüsste er nicht, was er dazu sagen sollte. Er wirkte etwas vor den Kopf gestoßen. Schlechtes Gewissen, dachte sie, ein weiteres Signal künftigen Betrugs. Vor den Kopf gestoßen, leichtes Sträuben der Nackenhaare beim Wort Ehemann. Kalterwischt, weil er sich eingebildet hatte, unbemerkt zu entkommen, sie irgendwie abhängen und verschwinden zu können.
    Das sieht toll aus, Dad, sagte Rhoda.
    Ist bloß Pasta, sagte er. Wie geht es dir, Reney?
    Ich bin froh, euch beide hier bei mir zu haben, sagte Irene mit Blick auf Gary und dann auf Rhoda.
    Jim hat dir auch ein Schlafmittel verschrieben, sagte Rhoda. Dad hat gesagt, du konntest letzte Nacht nicht schlafen.
    Sie kann nicht schlafen, sagte Gary. Sie muss schlafen können.
    Irene probierte die Pasta. Der Appetit verflogen. Ihr war egal, ob sie jemals wieder aß. Machte die Augen zu und spürte, wie sie nach und nach hineingezogen wurde in ihre Mitte, als wäre sie die Schwerkraft selbst. Fleisch, das ins Nichts floh.
    Was ist los, Mom?
    Die Medikamente. Ich krieg nichts runter.
    Mom, sagte Rhoda und rutschte näher, nahm Irenes Arm. Gary jedoch blieb, wo er war. Er hatte noch nie gewusst, wie er sie umsorgen sollte, und diese Situation würde daran nichts ändern. Irene wäre auf sich gestellt wie schon ihr ganzes Leben.
    Meine Mutter hatte auch schreckliche Kopfschmerzen, sagte Irene.
    Rhoda und Gary merkten jetzt beide auf.
    Sie sagte, ihr tut der Kopf weh, aber ich wusste nicht, was es war. Ich sollte dann immer still sein, und das war ich. Ich war still. Tagelang habe ich keinen Laut von mirgegeben. Ich war ja noch ein Kind, das war also nicht so einfach.
    Nun waren Rhoda und Gary still, und Irene machte die Augen zu. Sie wollte das Gesicht ihrer Mutter sehen. Doch wieder sah sie nur das eine, die Gestalt ihrer Mutter, in der Luft hängend, eine Gestalt, die nicht ihre Mutter sein konnte, und das wollte sie nicht sehen, also machte sie die Augen wieder auf.

R hoda fuhr beunruhigt weg, ohne ihre Unruhe benennen zu können. Seltsames Gebaren ringsum. Ihre Mutter, ihr Vater, Jim. Keiner von ihnen so, wie er sein sollte. Und wo blieb sie dabei? Ihr Leben hing von ihnen ab.
    Was war mit ihren Wünschen? Scherte das einen von ihnen auch nur einen feuchten Dreck? Es kotzte sie an, was besser war als diese Unruhe. Sie riss das Steuer zur Seite, riss es zur anderen Seite, würgte ihre Schrottkarre zickzack den Kiesweg hinunter, und da ging es ihr schon etwas besser. Los, Kakerlake, los, sagte sie.
    Sie nahm die Ausfahrt zum unteren Ende des Sees und schlitterte zu Marks Haus hinauf.
    Hey, du Arsch, sagte sie, als er an die Tür kam. Es war spät, und er sah müde aus oder bekifft.
    Wie reizend.
    Nicht ein einziger Besuch, sagte sie. Du konntest nicht ein einziges Mal rübergehen und nachsehen, wie es ihr geht?
    Wie geht es ihr?
    Sie ist tot.
    Na, das ist doch eine Erleichterung, irgendwie, sagte Mark. Die Bürde ihres Unmuts und so weiter. Ihren Früchtekuchen werde ich allerdings vermissen und eine gewisse mädchenhafte Hoffnung.
    Rhoda trat ihm mit ihrem Stiefel ans Schienbein, so kräftig, dass er jaulend hinfiel. Sie lief zu ihrem Wagen zurück, bevor Karen sich einmischen konnte.
    Pfannkuchen und Dosenpfirsiche, als sie nach Hause kam, wenigstens das eine Rückkehr zur Normalität. Jim an der Küchenanrichte, das Klappern der Gabel in der Dose.
    Ihr bekommt alle eine Verwarnung, sagte sie.
    Wie bitte?
    Ihr benehmt euch merkwürdig.
    Alle?
    Du und Mom und Dad. Ihr seid alle Freaks. Mein Bruder ist ein nichtsnutziger Arsch, aber ihr bringt mich alle drei um den Verstand.
    Was hab ich denn gemacht?
    Keine Ahnung, sagte sie. Aber es ist nicht gut. Hör auf damit.
    Jim sah gekränkt aus. Ich habe für deine Mutter rumtelefoniert, sagte er. Das ist alles.
    Entschuldigung, sagte Rhoda. Sie blieb einen Augenblick stehen, um runterzukommen. Ihr war, als würde sie sprinten, ihr Herz raste. Sie wollte, dass Jim sie in die Arme nahm, um sie zu erden, aber er stand nur da, abwesend. Meine Mutter hat mir irgendwie einen Riesenschreck eingejagt, sagte sie schließlich.
    Womit denn?
    Rhoda warf ihre

Weitere Kostenlose Bücher