Die Unermesslichkeit
Jacke ab und setzte sich auf einen der Barhocker. Das klingt jetzt bestimmt verrückt, sagte sie. Aber sie kann nicht schlafen, sie kann nicht essen, sie hat die ganze Zeit diese Schmerzen, und so verlässt sieuns. Sie geht irgendwohin weg in ihrem Kopf, zurück in ihre Kindheit, zu ihrer Mutter, und ich habe das Gefühl, sie ist schon verschwunden.
Könnte an den Medikamenten liegen.
Könnte. Das ist es aber nicht. Sie geht irgendwohin zurück, wo es ihr nicht gut tut.
Ich habe jedenfalls einen guten Arzt für sie gefunden. John Romano, den besten HNO-Arzt in Alaska.
In Anchorage?
Ja. Morgen ein Uhr.
Wie teuer ist der?
Er ist der teuerste, aber auch der beste und ist bereit, für deine Mutter die Hälfte zu berechnen. Alles für die Hälfte, selbst wenn sie am Ende eine OP braucht.
Eine OP?
Ja, Nebenhöhlen. Das kommt ziemlich häufig vor.
Rhoda stand auf und umarmte Jim. Danke, Jim, sagte sie. Und tut mir leid, dass ich dich angeblafft habe. Ich habe einfach Angst. Jim nahm sie in den Arm und legte ihr eine Hand in den Nacken, wie sie es gern mochte. So fühlte sie sich geborgen.
Wie alt war sie, als ihre Mutter sich umgebracht hat?, fragte Jim.
Zehn. In Rossland, British Columbia. Sie kam eines Tages aus der Schule und ging ins Haus und hat sie gefunden. Aber sie spricht nicht darüber. Vor ein paar Wochen hat sie mir erzählt, wie es war, an dem Tag auf das Haus zuzugehen. Das erste Mal überhaupt, dass sie mir das erzählt hat. Dass Schnee lag und wie der Anstrich ausgesehen hat. Irgendwas passiert mit ihr, schonvor den Kopfschmerzen. Sie wird ganz paranoid und seltsam und meint, dass Dad sie verlassen will.
Er verlässt sie?
Nein. Sie sieht Gespenster.
Hm, sagte Jim.
Lass uns nicht mehr drüber reden, sagte Rhoda. Lass uns über was Schönes reden. Lass uns darüber reden, was wir gern für eine Hochzeit hätten.
Okay, sagte Jim, ließ die Arme sinken und klopfte ihr leicht auf den Rücken.
Rhoda holte die Kataloge der Hotels auf Kauai, und sie setzten sich gemeinsam auf die Couch.
Dieses hier gefällt mir, sagte sie und schlug einen großformatigen Katalog auf, Meeresblicke und grünschwarze Berge mit Wasserfällen. Princeville in der Hanalei Bay. Hör dir das an. Die Ewigkeit beginnt hier. Während die Sonne den Horizont küsst und Sie in goldenes Licht gebadet werden, wird Ihr Gelübde von unendlichen Passatwinden davongetragen und über Millionen Meilen pazifischen Ozeans verstreut .
Klingt nicht schlecht, sagte Jim.
Wäre nicht so übel, sagte Rhoda. Ewigkeit und so weiter. Sieh dir diesen Pool an. Unendlichkeit, passend zur Ewigkeit.
Die Zimmer sehen auch nett aus. Teuer?
Rhoda ließ den Katalog sinken und sah Jim an. Der Preis spielt doch keine Rolle, oder? Das ist unsere Hochzeit. Die findet nur einmal statt.
Schon, sagte Jim. Nehm ich mal an.
Rhoda stieß ihm den Ellbogen in die Rippen, abersanft, und schlug den Katalog wieder auf. Und unser Tanz?, fragte sie. Wir müssen vielleicht nach Anchorage zum Unterricht. Ich glaube nicht, dass es hier so was gibt.
Anchorage?
Ich will einfach, dass es Stil hat, sagte sie. Seine Reaktionen gefielen ihr nicht. Vielleicht sollten wir ein andermal drüber reden.
Entschuldigung, sagte er.
Schon gut.
Das ist nur alles so ungewohnt.
Ist gut. Wir sind ja noch nicht mal verlobt. Ich denke halt gern darüber nach.
Jim wusste nicht, was er darauf antworten sollte. Rhodas trauriger Blick hinab in den Katalog, und ihm war, als müsste er auf der Stelle um ihre Hand anhalten, den Augenblick nutzen, aber er hatte keinen Ring. Und da gab es noch Monique. Eine unmögliche Situation. Also sagte er nichts. Er blickte auf den Katalog, und sie blätterte ihn langsam durch, und keiner sah den anderen an.
Carl war das Geld ausgegangen. Keine zehn Dollar mehr. Er musste den Campingplatz verlassen, also saß er in seinem Zelt und stopfte seinen billigen nassen Schlafsack in den Beutel, dann fragte er sich, was er mit Moniques machen sollte. Ihrer war neu, silber und grün in einem wasserdichten Biwaksack. Viel dicker und wärmer als seiner, aber auch leichter. Unbeschwerter durchs Leben. Carl legte sich auf ihren Schlafsack,drückte das Gesicht ins eingenähte Kissen, atmete tief ein. Und dann weinte er wieder hemmungslos. Er wusste nicht, wie er damit aufhören sollte. Rau und schmerzhaft, kein hilfreiches Weinen, keine Erleichterung. Dabei war sie nicht mal nett zu ihm gewesen. Er verstand das nicht.
Er zog seine Jeans aus, schlüpfte in ihren
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