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Die Unersättlichen: Ein Goldman-Sachs-Banker rechnet ab (German Edition)

Die Unersättlichen: Ein Goldman-Sachs-Banker rechnet ab (German Edition)

Titel: Die Unersättlichen: Ein Goldman-Sachs-Banker rechnet ab (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Smith
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davon, ob es einem in dem Unternehmen gefiel. Man hatte Gelegenheit, zehn Wochen lang zu zeigen, was man wert war, statt es in einem dreißigminütigen Vorstellungsgespräch nur zu behaupten.
    Ich verließ das College mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Meine vier Jahre in Stanford waren schön gewesen. Als Vollstipendiat hatte ich mich privilegiert gefühlt und ging nicht gern fort. Mir waren die Augen geöffnet worden für Dinge, die ich in Johannesburg nie kennengelernt hätte. Ich hatte gute Freunde fürs Leben gefunden, und jetzt zerstreuten wir uns in alle Himmelsrichtungen.
    Ich hatte zwar viel Zeit aufs Lernen verwandt, aber auch Spaß gehabt. In meinem Abschlussjahr hatte ich die Veranstaltungen der Casa Italiana organisiert. Theoretisch war das die Anlaufstelle für alle, die im Haupt-oder Nebenfach Italienisch studierten und sich genauer mit der Sprache und Kultur beschäftigen wollten. Dank ihrer Lage mitten auf dem Campus war die Casa aber auch ein toller Veranstaltungsort für Partys, mit dem besten Koch in Stanford. Mir stand pro Quartal ein Budget von 2000 US-Dollar für uniweite Partys zur Verfügung, und das brauchte ich bis zum letzten Penny auf. Wir veranstalteten eine Jazznacht, einen Sake-Abend, eine Karaoke-Party …
    In meinem letzten Jahr hatte ich vormittags keine Vorlesungen. Ich dachte oft: «Schon komisch – in ein paar Monaten wird um fünf Uhr früh der Wecker klingeln. Wie soll ich dann bloß aus dem Bett kommen?» Ich hatte den klassischen Tagesrhythmus eines Studenten, blieb auf bis in die Puppen und schlief bis mittags. Das genoss ich, solange ich konnte.
    Die Abschlusswoche war eine ganz besondere Zeit. Meine Mutter reiste aus Johannesburg an, meine Cousins und Cousinen aus Chicago und meine Tante aus Florida. Am Tag, als meine Mutter ankam, nahmen wir an einem kleinen Grillfest teil. Plötzlich fuhr ein Konvoi aus drei schwarzen SUVs vor, und Chelsea Clinton stieg aus, die ich vom Sehen aus dem Wohnheim kannte, in dem ich als Studienanfänger untergekommen war. Sie kam in Begleitung ihres Vaters, der nur Monate zuvor aus dem Amt geschieden war, und ihrer Mutter Hillary. Wir hatten alle Gelegenheit, uns mit den Clintons zu unterhalten und ihnen die Hand zu geben. Sie posierten geduldig für zahllose Fotos mit aufgeregten Müttern und Vätern, die ihren Stolz auf den eigenen Nachwuchs darüber ganz vergaßen. Bill und Hillary freuten sich und waren sichtlich stolz auf Chelsea. Mir hat immer gefallen, wie natürlich Chelsea war und wie gefasst sie damit umging, als sich in unserem ersten Stanford-Jahr im Weißen Haus diese unwürdige Seifenoper abspielte.
    Die Abschlussrede für den Jahrgang 2001 hielt Carly Fiorina, Stanford-Absolventin, CEO von Hewlett-Packard und die erste Frau, die ein Fortune-20-Unternehmen leitete. Sie war ein paar Jahre zuvor von der Zeitschrift Fortune zur «mächtigsten Frau in der Wirtschaft» gekürt worden. Ihre Rede hat mich tief berührt. Sie verglich ihr Leben mit einem Romanmanuskript, das sie immer und immer wieder überarbeitet hatte, bis die Quintessenz auf einer Seite Platz fand. Sie empfahl uns für unseren Lebensweg einen ähnlichen Prozess. Diese Rede hatte enorme Wirkung auf mich, und ich habe sie im Lauf der Jahre immer wieder gelesen. Mit ein paar Freunden ergatterte ich bei der Begrüßungsrede einen Platz ganz vorn und bin deshalb auf einem Schnappschuss zu sehen, der in unserem Jahrbuch einen Sonderplatz einnimmt. Egal wo es uns auf der Welt hinverschlagen hat – wir alle haben eine gerahmte Kopie davon an der Wand hängen. Ich blickte damals optimistisch in die Zukunft. Ich empfand wirklich so. Ich stand noch ganz am Anfang, war traurig, dass ich die ersten Kapitel abschließen musste, war aber gespannt auf die folgenden. Die Vorstellung, in New York zu leben, unabhängig zu sein und mein eigenes Geld zu verdienen, war ungeheuer reizvoll. Bei meinem Abschluss in Stanford hatte ich nicht einmal 3000 Dollar auf dem Konto.
    Goldman Sachs unterstützt neue Mitarbeiter großzügig bei der Wohnungssuche und bezahlt sogar einen Makler dafür. Im Mai flog ich also mit meinem Freund Adam und einem weiteren Freund von ihm nach New York, um uns eine Bleibe zu suchen. Ich legte mich ins Zeug, weil ich die beiden unbedingt überreden wollte, mit mir in die Upper West Side zu ziehen – wegen des jüdisch geprägten Umfelds. Ich dachte, dort konnte man bestimmt leicht jüdische Mädchen kennenlernen. Außerdem gab es jede Menge Synagogen

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