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Die Unersättlichen: Ein Goldman-Sachs-Banker rechnet ab (German Edition)

Die Unersättlichen: Ein Goldman-Sachs-Banker rechnet ab (German Edition)

Titel: Die Unersättlichen: Ein Goldman-Sachs-Banker rechnet ab (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Smith
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sich an der Wall Street eben schnell herum.

Kapitel 2
    Fall und Aufstieg
    Dass man die «Series 7»-Prüfung auf Anhieb besteht, ist nicht nur wünschenswert – bei Goldman Sachs wird es erwartet. Diese Prüfung ist die erste große Bewährungsprobe an der Wall Street – ein Initiationsritus, der Neulinge dazu befähigt, Kundengespräche zu führen und endlich produktiv zu arbeiten. Der Test dauerte sechs Stunden, und der abgefragte Stoff füllte zwei dicke Lexikonbände – eine ehrfurchtgebietende Menge an Informationen, die ich mir einverleiben musste. An einem Dienstagmorgen im September setzte ich mich vor meiner Wohnung in der Chambers Street ins Taxi und fuhr stadteinwärts, um mir diese Sporen zu verdienen. Es war ein schöner Morgen, klar, frisch, wolkenlos – so ganz anders, als ich mich fühlte: zittrig, nervös und schlecht vorbereitet.
    Mein Magen rebellierte, als ich auf der Rückbank eines der gelben New Yorker Taxis saß, das mich zum Ort der Prüfung bringen sollte, One Penn Plaza in der Innenstadt. Die Morgensonne blendete mich. Sie schien wie ein überdimensionaler Suchscheinwerfer durch die Straßenschluchten von Manhattan. Unfreiwillig hörte ich aus dem Autoradio eine verrückte Geschichte über Michael Jordans mögliches Basketball-Comeback bei den Washington Wizards. Warum tat er das, fragte ich mich. Er war bei den Bulls ausgestiegen, als er als Spieler alles erreicht hatte – auf dem absoluten Höhepunkt. Da konnte es doch bloß noch bergab gehen.
    Ich dagegen hatte noch alles vor mir. Zwei Wochen nach Beendigung meines Sommerpraktikums, Ende August 2000, hatte ich den ersehnten Anruf von Goldman Sachs erhalten. Vor meinem Abschlussjahr an der Uni war ich noch für zwei Wochen nach Südafrika geflogen, um meine Familie zu besuchen. Das Ticket hatte Goldman Sachs spendiert – ein enormer Vorteil des Praktikums. Goldman Sachs zahlte jedem Praktikanten eine Heimfahrt, egal wohin auf der Welt. Wegen des sechsstündigen Zeitunterschieds zwischen New York und Johannesburg wartete ich sprichwörtlich Tag und Nacht auf den entscheidenden Anruf. Quälend war, dass ich keine Ahnung hatte, wann genau er kommen würde. Und wenn ich nichts hörte, bedeutete das, dass ich nicht übernommen würde?
    An einem Donnerstagabend um siebzehn Uhr Johannesburger Zeit klingelte endlich das Telefon – mit guten Nachrichten. «Wir freuen uns, Ihnen eine Vollzeitstelle bei Goldman Sachs anzubieten», sagte die Frau von der Personalabteilung freundlich. Sie bedauerte, dass sie mich nicht zu Mike – dem Praktikumsleiter, der von meinem Auftritt im Scores erfahren hatte –, durchstellen könne, meinte aber, er freue sich sehr für mich. Sicher nicht halb so sehr, wie ich selbst mich freute. Das war das Ticket in eine goldene Zukunft, ein Traumjob für jeden, der an der Wall Street Karriere machen wollte. Goldman Sachs war absolut erste Wahl – der Rolls-Royce unter den Investmentbanken, wie es einer meiner Johannesburger Freunde formuliert hatte. Ich hatte das natürlich umgehend bescheiden relativiert, wusste aber, dass es stimmte. Ich war unglaublich stolz, dass ich mich in einer der größten Arenen gegen manche der härtesten, klügsten Konkurrenten aus aller Welt durchgesetzt hatte.
    «Akzeptieren Sie unser Angebot einer Analystenstelle in New Markets Sales on the wire ?», wollte die Personalsachbearbeiterin wissen. «On the wire» bedeutete im Wall-Street-Jargon «unverzüglich». Doch ich habe keine On-the-wire-Mentalität. Ich war schon immer vorsichtig und besonnen gewesen. Wenn ich in der Schule eine Aufgabe zwanzig Minuten vor der Abgabe fertig hatte, überprüfte ich meine Lösung wieder und wieder, bis die Zeit um war. Nun beschloss ich, dass ich mir die drei bis vier Wochen nehmen wollte, die mir die Firma zugebilligt hatte, um meine Entscheidung gründlich zu überdenken – auch wenn ich praktisch sicher war, dass ich am Ende zusagen würde. Später erfuhr ich, dass ich damit viele gegen mich aufgebracht hatte. An der Wall Street galt, auf sofortige Belohnung folgte sofortige Dankbarkeit. Man wollte jetzt gleich eine Zusage hören – und ein begeistertes Dankeschön.
    Es war toll, schon so früh zu wissen, wie ich nach der Uni mein Geld verdienen würde – zu einem Zeitpunkt, an dem sich viele meiner Kommilitonen noch den Kopf darüber zerbrachen, was sie beruflich machen sollten. Das war ein großer Pluspunkt des Praktikums. Man bekam einen Vorgeschmack auf die Wall Street und einen Eindruck

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