Die Unersättlichen: Ein Goldman-Sachs-Banker rechnet ab (German Edition)
einfach niemand irgendetwas zusagen wollte. Da rief mich eines Tages eine Personalerin an, die ich kannte, sie sagte: «Corey Stevens sucht einen Analysten für die Abteilung Futures Execution. Stellen Sie sich doch mal dort vor.»
Futures. Ich hatte mich am College mit Termingeschäften befasst, aber meine praktischen Kenntnisse zu diesem Thema waren gleich null.
Etwa um dieselbe Zeit beschloss ich, mich um ein Rhodes-Stipendium für ein Studium in Oxford zu bewerben. Eine seltsame Entscheidung, könnte man meinen, für jemanden, der sich dem Investmentbanking – genauer gesagt, einer Investmentbank – verschrieben hatte. Ich glaubte immer noch an Goldman Sachs und auch daran, dass es mir gelingen würde, in einer anderen Abteilung der Firma unterzukommen. Sorgen bereiteten mir die Märkte. Brachen sie weiter ein, würde es auch auf höherer Ebene Entlassungen geben. Niemand wäre mehr sicher.
Vor allem aber war ich erst dreiundzwanzig. Ich hatte das ganze Leben noch vor mir, und es bot so viele Möglichkeiten. Ich dachte, es wäre eine große Auszeichnung, ein Rhodes-Stipendium zu ergattern – und eine tolle Erfahrung. Vielleicht konnte ich sogar nach zwei Jahren in Oxford als Associate zu Goldman zurückkehren – die übliche Position für Oxford-Absolventen. Ein paar Jahre zuvor hatte ich David Maraniss’ Biographie von Bill Clinton gelesen. Ich war beeindruckt gewesen, wie Clinton das harte Bewerbungsverfahren für das Rhodes-Stipendium gemeistert hatte, und die Beschreibung seiner Erlebnisse in Oxford klang wirklich faszinierend. Dort hatte er Freundschaft mit Strobe Talbott geschlossen, der später unter anderem als Korrespondent für Osteuropa für das Magazin Time arbeitete und schließlich Clintons Vizeaußenminister wurde. Auch mit Robert Reich hatte er sich damals angefreundet, dem Wirtschaftswissenschaftler, den er zu seinem Arbeitsminister machen sollte.
In dieser Zeit traf ich mich mit Corey Stevens.
Stevens war Associate – eine schillernde Persönlichkeit. Er trug schon als Junior Analyst nur maßgeschneiderte Anzüge und Hemden. Die weniger förmliche Bürokleidung wäre für ihn nie in Frage gekommen. Sein Auftreten war stilsicher und formvollendet. Die geheimnisvolle Aura, die ihn umgab, verlieh ihm eine noch gerade eben sympathische Entrücktheit.
Um den Posten als Stevens’ rechte Hand in der Abteilung Futures Execution der Gruppe Derivatives Sales bewarben sich sieben Kandidaten. Wie ich später erfuhr, wurden alle sieben Lebensläufe zunächst von Coreys Halbbruder gelesen (seinem engstem Berater – einem Ex-Football-Star und Lebemann), bevor Corey überhaupt ein erstes Gespräch führte.
Meine Unterlagen sprachen den Halbbruder an, was ich vermutlich dem Umstand verdankte, dass ich Zulu sprach.
Ein paar Brocken zumindest. In der Spalte «Sprachkenntnisse» hatte ich in meinen Lebenslauf geschrieben: «Englisch, Afrikaans, Hebräisch, Zulu (drei Jahre)». Und das stimmte auch. An der King David School in Johannesburg hatte ich drei Jahre lang Zulu gelernt. Ich konnte Sachen sagen wie «Hallo», «Wie geht es dir?» und «Die Giraffe läuft schnell».
Das (so erfuhr ich später) erregte die Aufmerksamkeit des Halbbruders und damit das Interesse des Mannes, um den es mir eigentlich ging.
«Was wissen Sie über Derivate?», fragte Corey Stevens.
Derivate sind Finanzprodukte, deren Wert sich von künftigen Preisen und Kursen anderer Produkte ableitet. Sie können sehr komplex sein und genießen inzwischen den Ruf als Urheber verheerender Schäden. Damals war der Begriff allerdings noch nicht so negativ besetzt wie heute, und nach meinem Verständnis konnten sie Investoren gegen ganz konkrete Risiken absichern oder es ihnen ermöglichen, auf eben diese Risiken zu spekulieren. Der Terminus selbst ist ein vager Sammelbegriff für Produkte wie Optionen, Swaps, Futures und andere. Derivate lassen sich auf der Grundlage sämtlicher Anlagekategorien entwickeln: Aktien, Währungen, Rohstoffe, festverzinsliche Werte. Bei Goldman Sachs waren die Derivate-Teams nach Anlageklassen aufgeteilt. Coreys Abteilung Futures Executives war der größeren Abteilung Derivatives Sales untergeordnet.
Ich holte tief Luft und gestand ihm die volle Wahrheit: «Ich habe mich im College ansatzweise damit befasst.» In Stanford hatte ich einen sogenannten «Economics 140»-Kurs besucht, in dem die Grundlagen von Optionen, Termingeschäften und anderen Derivaten vermittelt wurden. Nach meinem
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