Die Unersättlichen: Ein Goldman-Sachs-Banker rechnet ab (German Edition)
TARP war der einzige Hoffnungsschimmer des Marktes, dass ein wenig Stabilität zurückkehren würde und es einen Weg nach vorn gab. «Wie ist der letzte Stand?», fragte ich.
«Sie werden es nicht glauben!», rief meine Kollegin atemlos ins Telefon. Und noch einmal: «Sie werden es nicht glauben!»
«Was? Was?», fragte ich.
Sie klang erschüttert. «Das Gesetz ist abgelehnt worden.»
Das war allerdings unerwartet. Jeder hatte geglaubt, der Kongress hätte verstanden, dass der Patient im Sterben lag und dass TARP lebenswichtig war. Aber die Republikaner im Repräsentantenhaus revoltierten, änderten im letzten Moment ihre Meinung und brachten das Gesetz zu Fall.
«Ach du Scheiße», sagte ich. «Was macht der Markt?»
«Er stürzt ab, er stürzt ab, er stürzt ab», sagte meine Kollegin. Sie meinte den S&P 500. Zwischen unseren beiden Telefonaten war er um rund sechs Prozent gefallen. Ein schlechter Tag an der Wall Street bedeutet einen Rückgang von ein oder zwei Prozent, was aber nicht oft passiert. Ein furchtbarer Tag ist ein Nachgeben von drei Prozent, was nur ein paarmal im Jahr vorkommt. Die Märkte fallen nicht um sechs Prozent, während man eine fünf Minuten dauernde Unterhaltung führt. Das war Panik. Der Dow Jones fiel an diesem Tag um 777,68 Punkte – nach Punkten der größte Absturz in der Geschichte.
Als ich zum Gate kam, musste ich mein Handy ausschalten, was in gewisser Weise gut war, weil ich nun dreieinhalb Stunden lang von der ganzen Unruhe und Anspannung abgekoppelt sein würde. Andererseits war es schlecht, weil ich an kaum etwas anderes denken konnte. Als ich in Dallas landete, schaute ich nach den Märkten, die inzwischen geschlossen hatten. Wenn Blut auf den Straßen fließt 1 … , musste ich denken.
Ich fuhr mit dem Zug zum Wohnort von Nadines Eltern in einem Vorort von Dallas. Während ich aus dem Fenster auf die ungewohnte Landschaft starrte, klingelte mein Handy. Ich zuckte zusammen. Doch ich lächelte, als ich die Stimme meines besten Freundes Lex am anderen Ende hörte.
Nach Stanford hatten sich unsere Wege getrennt: Ich war zu Goldman Sachs gegangen, Lex war in Palo Alto geblieben, hatte einige Startup-Unternehmen gegründet und war jetzt als Unternehmer erfolgreich. Obwohl Lex nicht religiös war, rief er mich immer an Rosch ha-Schana an, um mir Schana Tova zu wünschen – ein frohes neues Jahr. Und wenn auch dieses Rosch ha-Schana alles andere als glücklich war, tat es mir gut, seine Stimme zu hören.
Seit die Finanzwelt aus den Fugen geraten war, hatte ich ständig SMS-Nachrichten und Mails von Freunden bekommen, die sich überzeugen wollten, dass es mir gutging. «Ich hoffe, du überlebst», hatte mir ein Freund erst am Tag zuvor geschrieben. Alle wussten, dass ich im Zentrum des Sturms saß, in der ersten Reihe. Nach den Wünschen zum Feiertag stellte Lex die gleiche Frage. Ich sagte ihm, dass ich mich nicht unterkriegen ließe.
Was dann kam, hatte ich nicht erwartet.
Statt zu sagen, was ich in der kurzen Zeit, die wir zum Plaudern hatten, von ihm hören wollte – etwas in der Art wie: «Ich hoffe, alles wird gut für Goldman und die Lage beruhigt sich wieder» –, fing Lex an, mich mit Fragen zu löchern.
«Glaubst du, dass TARP gerechtfertigt ist?», fragte er. «Schließlich waren es die Banken selbst, die sich und uns mit ihrer unverantwortlichen Risikopolitik dieses Schlamassel beschert haben, oder?»
«Ja, aber das sind nicht wir. Goldman hatte nicht diese Art von toxischen Papieren in den Büchern. Wir haben klügere Entscheidungen getroffen.» Ich brauchte jemanden, der auf meiner Seite stand. Nicht jemanden, der kritisch nachfragte.
«Was ist mit den Leuten, deren Altersversorgung schrumpft? Wo wird deren Rettungsplan herkommen?»
«Ich weiß es nicht, Lex – ich stecke gerade mittendrin in dieser Sache.»
Lex gehört zu den vernünftigsten und moralisch anständigsten Menschen, die ich kenne. Aber er ist auch ein sehr analytischer Denker, und deshalb war Lex in diesem Moment einfach Lex. Er findet immer gerne für jedes Argument ein Gegenargument. Später gab er zu, dass er bei unserem Gespräch sehr bewusst den Advocatus Diaboli gespielt hatte. Seine Fragen waren gut. Aber nicht unbedingt die Fragen, die man in einem solchen Moment von seinem besten Freund hören will.
«Und was ist mit Lehman Brothers?», fuhr Lex fort. «Was hatten die vor?»
«Lehman Brothers sind untergegangen, weil es eine Hexenjagd gab», erklärte ich ihm. «Die Leute
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