Die Unersättlichen: Ein Goldman-Sachs-Banker rechnet ab (German Edition)
haben spekuliert, dass denen das Geld ausgeht, und deswegen ist es auch passiert: Die Leute fingen an, ihr Geld herauszuziehen, und das entwickelte sich zu einem Run auf die Bank. Mehr war es nicht.»
«Tja, war das ein Run auf die Bank, oder hatten Lehman Brothers zu viele schlechte Risiken übernommen? Ich habe gelesen, dass sie ein paar wirklich schlimme Sachen in den Büchern hatten.»
Ich wusste auch davon, aber ich hatte das Gefühl, dass die ganze Sache noch zu frisch war, um ein abschließendes Urteil zu fällen. «Lex, ich stecke im Moment mitten in dieser Sache drin und bin echt im Stress», sagte ich. «Ich kann nicht fassen, was hier teilweise vor sich geht. Ich mache mir Sorgen.»
Ich meinte es ernst. Meine ganze Karriere stand auf der Kippe. Meine Zukunft stand auf der Kippe. Und nicht nur meine Zukunft. Im Sommer hatte ich beim Umzug meiner Schwester mitgeholfen, die ihr erstes Jahr am College in Chicago begann – ich war sehr stolz darauf, dass ich auch für ihr Studium zahlen konnte. Außerdem versuchte ich meine Mutter dazu zu bewegen, aus Johannesburg, wo die Verbrechensrate mit jedem Tag höher zu steigen schien, nach Amerika zu ziehen. (Mein Vater plante bereits herüberzukommen, um eine pharmazeutische Prüfung abzulegen und anschließend hier zu arbeiten.) Auch das würde Geld kosten, und ich war froh, dass ich das Geld hatte, um diese Dinge zu bezahlen. Momentan. Wenn Goldman Sachs den Bach runterging, würden das auch all meine Pläne tun. Was war mit meiner Beziehung zu Nadine? Ich liebte Amerika und wollte hierbleiben. Würde ich ein Visum bekommen, um mir woanders einen Job suchen zu können? Würde ich nach Südafrika zurückgehen müssen?
Außerdem, so albern sich das auch anhören mag, machte ich mir Sorgen um Goldman Sachs. Ich liebte die Firma und war sehr stolz auf sie – und ich wollte nicht, dass sie unterging. Für mich war das ein furchtbarer, ein unvorstellbarer Gedanke. Natürlich wusste ich, dass die Finanzkrise keine Frage von Leben und Tod war, trotzdem hatte ich das Gefühl, wir würden in einem Krieg kämpfen.
«Lex», sagte ich. «Wir haben nur fünf Minuten am Telefon. Ich brauch jetzt nicht die Spanische Inquisition. Ich brauche dich als Freund.»
Er entschuldigte sich. Ich dachte: Wenn ich sonst nichts mehr habe, dann habe ich immer noch Freunde und Familie.
Mitte Oktober rief Finanzminister Hank Paulson die Chefs der neun größten Banken nach Washington und teilte ihnen mit, dass die Regierung ihnen, ob sie es wollten oder nicht, eine Menge Geld geben würde: mehr als 100 Milliarden Dollar allein an diesem Tag. Die Banken waren systemrelevant und – wie die berühmt gewordene Phrase lautete – «too big to fail» . Einige von ihnen – darunter auch Goldman Sachs, vertreten durch Lloyd Blankfein – sagten dem Finanzminister, dass sie das Geld nicht brauchten. Paulson antwortete, dass sie es in Empfang nehmen würden, ob sie nun glaubten es zu brauchen oder nicht.
Und sie nahmen es, alle. Der Gedanke, der dahintersteckte, war: Wenn nur einige Banken das Geld annahmen und andere nicht, wären die TARP-Mittel gleichsam ein Stigma, das besagen würde: Diese Bank hat so große Probleme, dass sie Geld aus dem Rettungsfonds braucht . Das Finanzministerium war der Meinung, dass die beste Möglichkeit, den Wettbewerb nicht zu verzerren, darin bestand, jeden zum Annehmen des Geldes zu bewegen. (Die meisten dieser Banken würden ihren Managern auch am Ende dieses Jahres beachtliche Boni zahlen – und viele Steuerzahler hatten das Gefühl, dass das mit ihrem Geld geschah.) Die Öffentlichkeit hingegen fragte sich: Ist es nicht der völlig falsche Weg, dass die Regierung Banken, die im großen Stil schlecht investiert hatten, nun Hunderte von Milliarden gibt?
In all diesem Chaos empfanden wir im Handelssaal einen gewissen Stolz darüber, dass es einer von uns war, der im Finanzministerium das Sagen hatte. Ich glaube, dank seiner Erfahrung als CEO von Goldman Sachs gab es nur wenige Menschen auf der Welt, die besser als Hank Paulson in der Lage gewesen wären, in «Echtzeit» Entscheidungen über derart schwierige Finanzprobleme zu treffen. Ich schauderte bei dem Gedanken, was passiert wäre, wenn entweder John Snow oder Paul O’Neill, Paulsons Vorgänger, auf dem Höhepunkt der Finanzkrise das Finanzministerium geleitet hätten. Ich glaube, die Geschichte wird ein positives Urteil über Hank fällen.
Den ganzen Herbst und Winter hindurch brachen die Märkte
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