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Die Unersättlichen: Ein Goldman-Sachs-Banker rechnet ab (German Edition)

Die Unersättlichen: Ein Goldman-Sachs-Banker rechnet ab (German Edition)

Titel: Die Unersättlichen: Ein Goldman-Sachs-Banker rechnet ab (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Smith
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Betreffende, Anfang dreißig, hatte sich sehr bemüht, aber zu diesem Zeitpunkt hatte er wahrscheinlich die wenigsten Kundenbeziehungen in der Abteilung: Er brachte objektiv gemessen nicht den gleichen Mehrwert wie die anderen. Daran war nichts zu ändern. Doch als er hinausging, brach eine Kollegin namens Becky in Tränen aus, mitten im Handelssaal.
    In einem Umfeld, das allgemein als hart und mitleidlos galt, war dies ein ungewöhnlicher Anblick. Im Handelssaal wurde erwartet, dass man sich jede Gefühlsregung verkniff – wenn einem zum Heulen war, so besagte das ungeschriebene Gesetz, dann ging man «kurz raus». Doch gerade in dieser beängstigenden Zeit war es traumatisch, mit anzusehen zu müssen, wie jemand, den man mochte, gefeuert wurde, seine Sachen zusammenpackte und das Haus verließ.
    Mr. Fruchtsaft ging zu ihr hin und sagte: «Becky, was haben Sie an der Villanova studiert: Sentimentalismus? Hören Sie auf damit!» Dieser Satz wurde hinterher noch lebhaft diskutiert. Mr. Fruchtsaft, da waren sich alle einig, hatte sich wieder einmal wie ein Arschloch benommen.
    Zu seiner Ehrenrettung muss man sagen, dass er dem gefeuerten Mitarbeiter später half, einen anderen Job zu finden – eine Geste, die mich beeindruckte.
     
    Drei U-Bahn-Geschichten:
     
    1. Eines Nachmittags im Oktober hatten ein Managing Director namens Doug Miller und ich einen Termin mit einem Kunden in Midtown, einem großen Vermögensverwalter mit Beteiligungen im Wert von etwa 200 Milliarden Dollar. Der Kunde war ausgesprochen konservativ – weswegen sein Fonds vergleichsweise gesund war –, und das Thema war ganz einfach: Wir wollten über ein Produkt sprechen, bei dem der Kunde ein wenig unterhalb der Kurve lag – ETFs, kurz für Exchange-Traded Funds.
    ETFs, die vor Jahrzehnten entwickelt wurden, sind extrem aufgemotzte, spezialisierte Investmentfonds. Wenn man ein breites Engagement zum Beispiel im Bankensektor anstrebt, dann kann man Aktien der einzelnen Banken kaufen, zum Beispiel von der Bank of America, von Citigroup, Wells Fargo, JPMorgan Chase etc. Oder man kauft eben Aktien eines ETF mit dem Tickersymbol XLF, der Aktien all dieser Banken hält und die Performance des Bankensektors insgesamt abbildet. Obwohl ETFs inzwischen durchaus in der Kritik stehen wegen des Aspekts des möglichen Kontrahentenrisikos, war es für uns eine fast komische Vorstellung, dass wir uns mit einem Kunden hinsetzen und über diese eher großväterliche Anlagestrategie diskutieren sollten inmitten einer Krise, die von ultrakomplexen Derivaten ausgelöst worden war.
    Die Zeiten waren hart. Doug und ich hatten Bedenken, dass der Kunde schlechter Laune sein könnte. Wir überlegten, ob wir das Treffen absagen sollten. Doch dann entschieden wir uns hinzufahren. Zum einen würde uns die Ablenkung guttun. Schließlich gab es nicht viel, was wir unternehmen konnten, um den Aufruhr, der um uns herum herrschte, einzudämmen. Warum nicht einen Kunden besuchen? Im Kundenkontakt bleiben und zeigen, dass wir uns nicht in unserem Bunker in Lower Manhattan verschanzten.
    Kurz entschlossen nahmen wir die U-Bahn in den Norden von Manhattan. Es war sehr ungewöhnlich, mit der U-Bahn zu einem Kundentermin zu fahren, besonders mit einem Managing Director – normalerweise hätte man sich eine Limousine kommen lassen. Aber es war Rushhour, das Büro des Kunden befand sich in der Nähe einer Station der Linie 4, und Doug war ein guter Kerl, ein MD der alten Schule, der nicht das Gefühl hatte, auf Statussymbole achten zu müssen.
    Das Meeting war für siebzehn Uhr angesetzt. Wir warteten, bis die Märkte um 16 : 15 Uhr schlossen, dann mussten wir uns sputen, wenn wir nicht zu spät kommen wollten. Als wir zusammen aus dem Büro gingen, waren wir beide noch ganz benommen. Jeden Tag in diesem Herbst musste man darauf gefasst sein, dass Institutionen, die seit Jahrhunderten existiert hatten, innerhalb von Sekunden verschwanden. Der Markt war nicht rational. Es war wahrhaftig eine furchterregende Zeit.
    Als wir die vollgestopfte U-Bahn bestiegen, fragte ich Doug: «Was denken Sie?» Er war zehn Jahre älter und erfahrener als ich, und ich sehnte mich nach einer Stimme der Weisheit, nach jemandem, der mir erklärte, was gerade vor sich ging – besonders da Mr. Fruchtsaft, der Partner, der meine Gruppe leitete, mit niemandem redete. Außerdem dachte ich, Doug hätte vielleicht Informationen aus der Chefetage und wüsste, was die Firma plante.
    Ich bekam nicht die Antwort,

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