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Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins

Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins

Titel: Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Milan Kundera
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Verbrechen allzu skandalös wurden, hatte ein Linker zwei
    Möglichkeiten: entweder auf sein bisheriges Leben zu spucken und mit dem Marschieren aufzuhören, oder aber (mit mehr oder weniger Bedenken) die Sowjetunion unter die Hindernisse auf dem Großen Marsch einzureihen und weiter zu marschieren.
    Ich habe bereits gesagt, daß es der Kitsch des Langen Marsches ist, der aus einem Linken einen Linken macht. Die Identität des Kitsches wird nicht durch eine politische Strategie bestimmt, sondern durch Bilder, Metaphern und Wortwahl. Also ist es möglich, die Gewohnheit zu durchbrechen und gegen die Interessen eines kommunistischen Landes zu marschieren. Es ist aber nicht möglich, Wörter durch andere Wörter zu ersetzen. Es ist möglich, mit erhobener Faust gegen die vietnamesische Armee zu protestieren. Es ist nicht möglich, ihr »Nieder mit dem Kommunismus!« zuzuschreien. »Nieder mit dem Kommunismus!« ist nämlich die Parole der Feinde des Großen Marsches, und wer sein Gesicht wahren will, muß der Reinheit des eigenen Kitsches treu bleiben.
    Ich sage das nur, um das Mißverständnis zwischen dem französischen Arzt und der amerikanischen Diva zu erklären, die in ihrer Egozentrik glaubte, ein Opfer von Haß oder Frauenfeindlichkeit geworden zu sein. In Wirklichkeit hatte der Franzose bewiesen, daß er ästhetisches Feingefühl besaß: die Wörter »Präsident Carter«, »unsere traditionellen Werte«, »die Barbarei des Kommunismus« gehören zum Wortschatz des amerikanischen Kitsches und haben mit dem Kitsch des Großen Marsches überhaupt nichts zu tun.
    Am nächsten Morgen stiegen alle in die Autobusse und fuhren durch ganz Thailand bis zur kambodschanischen Grenze. Am Abend erreichten sie ein kleines Dorf, wo einige auf Pfählen gebaute Häuschen für sie gemietet worden waren. Der ständig mit Hochwasser drohende Fluß zwang die Menschen, oben zu wohnen, während sich am Fuße der Pfähle die Schweine drängten. Franz schlief mit vier anderen Professoren zusammen in einem Raum. Von unten wiegte ihn das Grunzen der Schweine in den Schlaf und von nebenan das Schnarchen eines berühmten Mathematikers.
    Am Morgen setzten sich alle wieder in die Autobusse.
    Bereits zwei Kilometer vor der Grenze begann das Fahrverbot. Es gab nur noch eine schmale, militärisch bewachte Landstraße, die zum Grenzposten führte. Die Busse hielten an. Als die Franzosen ausstiegen, mußten sie feststellen, daß sie wieder einmal von den Amerikanern überholt worden waren, die sich schon an der Spitze des Zuges aufgestellt hatten. Das war ein äußerst heikler Moment. Wieder mußte der Dolmetscher eingreifen, und der Streit war in vollem Gange. Schließlich konnte man sich einigen: die Spitze des Zuges wurde von einem Amerikaner, einem Franzosen und einer kambodschanischen Dolmetscherin übernommen. Anschließend kamen die Ärzte und dann erst alle anderen; die amerikanische Schauspielerin befand sich am Schluß.
    Die Landstraße war schmal und führte durch ein Minenfeld. Jeden Moment stießen sie auf eine Barrikade: zwei Betonblöcke mit Stacheldraht und einem schmalen Durchgang in der Mitte. Sie mußten im Gänsemarsch gehen.
    Etwa fünf Meter vor Franz marschierte ein berühmter deutscher Poet und Popsänger, der schon neunhundertdreißig Lieder gegen den Krieg und für den Frieden geschrieben hatte. An einer langen Stange trug er eine weiße Fahne, die gut zu seinem schwarzen Vollbart paßte und ihn von den anderen unterschied.
    Neben diesem langen Zug liefen Fotografen und Kameraleute hin und her. Sie klickten und schnurrten mit ihren Apparaten, liefen nach vorne, blieben stehen, rannten zurück, knieten nieder und standen wieder auf, um nach vorn zu laufen. Hin und wieder riefen sie einen berühmten Mann oder eine berühmte Frau beim Namen, worauf diese sich unwillkürlich umdrehten, so daß die Fotografen auf den Auslöser drücken konnten.
    18.
    Irgend etwas lag in der Luft. Die Teilnehmer verlangsamten den Schritt und drehten sich um.
    Die amerikanische Filmdiva, die man am Ende des Zuges plaziert hatte, weigerte sich, diese Schmach länger zu ertragen und entschloß sich zum Angriff. Sie rannte nach vorn. Es sah aus wie beim Fünftausendmeterlauf, wenn ein Läufer, der bisher seine Kräfte geschont hatte und am Schluß der Gruppe geblieben war, plötzlich ausbrach und alle anderen Konkurrenten überholte.
    Die Männer lächelten verlegen und traten zur Seite, um der berühmten Läuferin den Sieg zu ermöglichen, die

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