Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins
sonderbare Melancholie versetzt. Plötzlich wurde ihm nämlich klar, daß es nur Zufall war, daß Teresa ihn liebte und nicht seinen Freund Z. Daß es neben ihrer Liebe zu Tomas, die sich verwirklicht hatte, im Reich der Möglichkeiten unendlich viele nicht verwirklichte Lieben zu anderen Männern gab.
Wir alle halten es für undenkbar, daß die Liebe unseres Lebens etwas Leichtes, etwas Gewichtloses sein könnte; wir stellen uns vor, daß unsere Liebe ist, was sie sein muß; daß ohne sie unser Leben nicht unser Leben wäre. Wir sind überzeugt, daß der mürrische Beethoven mit seiner wirren Mähne persönlich sein »Es muß sein!« für unsere große Liebe spielt.
Tomas erinnerte sich an Teresas Bemerkung über seinen Freund Z. und stellte fest, daß in der Liebesgeschichte seines Lebens nicht ein »Es muß sein!« erklang, sondern ein »Es könnte auch anders sein!«.
Vor sieben Jahren trat zufällig im Krankenhaus der Stadt, wo Teresa wohnte, ein komplizierter Fall einer Gehirnkrankheit auf, und Tomas' Chefarzt wurde zu einer dringenden Konsultation gebeten. Zufällig hatte dieser Chefarzt Ischias, konnte sich nicht bewegen und schickte Tomas zur Vertretung in das Provinzkrankenhaus. In der Stadt gab es fünf Hotels, doch Tomas stieg zufällig dort ab, wo Teresa arbeitete. Zufällig hatte er vor der Abfahrt des Zuges noch etwas Zeit, und er setzte sich ins Restaurant. Teresa hatte zufällig Dienst und bediente zufällig an seinem Tisch. Es waren also sechs Zufälle nötig, um Tomas auf Teresa hinzustoßen, als hatte er selbst gar nicht zu ihr gewollt.
Er war ihretwegen nach Prag zurückgekehrt. Dieser schicksalsschwere Entschluß gründete auf einer so zufälligen Liebe, die gar nicht existierte, wenn sein Chef nicht vor sieben Jahren Ischias bekommen hätte. Und diese Frau, die Verkörperung des absoluten Zufalls, lag nun neben ihm und atmete tief im Schlaf. Es war schon spät in der Nacht. Er spürte, daß er Magenschmerzen bekam, wie so oft in Momenten seelischer Not.
Ihr Atem ging ein- oder zweimal in leises Schnarchen über. Tomas verspürte nicht das geringste Mitgefühl. Das einzige, was er fühlte, war ein Druck im Magen und die Verzweiflung darüber, daß er zurückgekehrt war.
ZWEITER TEIL KÖRPER UND SEELE
Es wäre töricht, wenn ein Autor dem Leser einreden wollte, seine Personen hätten tatsächlich gelebt. Sie sind nicht aus einem Mutterleib geboren, sondern aus ein paar suggestiven Sätzen oder einer Schlüsselsituation. Tomas ist geboren aus der Redewendung »Einmal ist keinmal«, Teresa aus einem rumorenden Magen.
Als sie zum ersten Mal Tomas' Wohnung betrat, rumorte es in ihren Eingeweiden. Kein Wunder, sie hatte weder zu Mittag noch zu Abend gegessen, nur ein Sandwich am Vormittag auf dem Bahnsteig, bevor sie in den Zug gestiegen war. Sie war ganz mit ihrer waghalsigen Reise beschäftigt und vergaß zu essen. Wer nicht an seinen Körper denkt, fällt ihm um so leichter zum Opfer. Wie schrecklich, vor Tomas zu stehen und zu hören, wie die Eingeweide sich lautstark bemerkbar machen. Sie war dem Weinen nahe.
Zum Glück schloß Tomas sie nach zehn Sekunden in die Arme, und sie konnte die Stimmen in ihrem Bauch vergessen. Teresa ist also aus einer Situation geboren, die auf brutale Weise die unvereinbare Dualität von Körper und Seele, diese grundlegende menschliche Erfahrung, enthüllt.
Irgendwann vor langer Zeit horchte der Mensch verwundert auf die regelmäßigen Schläge in seiner Brust, ohne zu ahnen, was dies bedeutete. Er konnte sich nicht mit etwas so Fremdem und Unbekanntem wie einem Körper identifizieren. Der Körper war ein Käfig, und in seinem Inneren gab es etwas, das sah, hörte, sich fürchtete, dachte und sich wunderte; dieses Etwas, dieser Rest, der nach Abzug des Körpers übrigblieb, war die Seele.
Heute ist der Körper kein Unbekannter mehr: wir wissen, daß das, was in der Brust klopft, das Herz ist, und die Nase das Ende des Schlauches, der aus dem Körper ragt, um der Lunge Sauerstoff zuzuführen. Das Gesicht ist nichts anderes als ein Armaturenbrett, wo alle Funktionen des Körpers zusammenlaufen: Verdauen, Sehen, Hören, Atmen und Denken.
Seit der Mensch alles an seinem Körper benennen kann, beunruhigt der Körper ihn weniger. Wir wissen auch, daß die Seele nichts anderes ist als die Tätigkeit der grauen Gehirnmasse. Die Dualität von Körper und Seele wurde in wissenschaftliche Begriffe gehüllt. Heute ist sie ein überholtes Vorurteil, und wir
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