Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins
tatsächlich in seinem Mund, als saugte er Milch! Die Vorstellung, daß er unten ein ausgewachsener Mann war und oben ein Neugeborenes, das gestillt werden will, daß sie also mit einem Säugling schlief, diese Vorstellung lag für sie an der Grenze des Ekels. Nein, sie will nie mehr sehen, wie er sich verzweifelt auf ihr bewegt, sie will ihm nie mehr die Brust geben wie eine Hündin ihrem Jungen, heute ist es das letzte Mal, unwiderruflich das letzte Mal!
Sie wußte natürlich, daß ihre Entscheidung den Gipfel der Ungerechtigkeit darstellte, daß Franz der beste aller Männer war, die sie je besessen hatte: er war intelligent, verstand ihre Bilder, war gutaussehend und gütig. Je mehr sie sich dessen bewußt wurde, desto stärker wurde ihr Verlangen, dieser Intelligenz, dieser Güte, dieser hilflosen Kraft Gewalt anzutun.
In dieser Nacht liebte sie ihn so leidenschaftlich wie noch nie zuvor, erregt von dem Wissen, daß es das letzte Mal war.
Sie liebte ihn und sie war schon woanders, weit weg. Wieder hörte sie aus der Ferne die goldene Trompete des Verrats und wußte, daß sie unfähig sein würde, diesem Klang zu widerstehen. Es schien ihr, als läge vor ihr ein grenzenloser Raum der Freiheit, und die Weite dieses Raumes erregte sie. Wahnsinnig und wild liebte sie Franz, wie sie ihn nie zuvor geliebt hatte.
Franz stöhnte auf ihrem Körper und war sicher, alles zu verstehen: Obwohl Sabina beim Abendessen schweigsam gewesen war und ihm nicht gesagt hatte, was sie von seinem Entschluß hielt, gab sie ihm nun eine Antwort. Sie zeigte ihm ihre Freude, ihr Einverständnis, ihren Wunsch, für immer mit ihm zusammenzubleiben.
Er kam sich vor wie ein Reiter, der auf seinem Pferd in eine wundervolle Leere reitet, eine Leere ohne Ehefrau, ohne Tochter, ohne Haushalt, in eine wundervolle, vom Herkulesbesen saubergefegte Leere, in eine wundervolle Leere, die er mit seiner Liebe ausfüllen würde.
Sie beide ritten aufeinander wie auf Pferden. Sie ritten in jene fernen Gefilde, nach denen sie sich sehnten. Beide waren sie berauscht von einem Verrat, der sie frei machte. Franz ritt auf Sabina und verriet seine Frau. Sabina ritt auf Franz und verriet Franz.
Über zwanzig Jahre lang hatte er in seiner Frau seine Mutter gesehen, ein schwaches Wesen, das beschützt werden mußte; diese Vorstellung war zu tief in ihm verwurzelt, als daß er sich innerhalb von zwei Tagen von ihr hätte lösen können.
Als er nach Hause zurückkehrte, hatte er Gewissensbisse: er fürchtete, sie sei nach seiner Abreise doch noch zusammengebrochen und er würde sie von Trauer zerquält antreffen.
Zaghaft schloß er die Tür auf und ging in sein Zimmer.
Einen Augenblick lang blieb er still stehen und horchte: ja, sie war zu Hause. Nach kurzem Zögern ging er, ihr guten Tag zu sagen, wie er es gewohnt war.
Mit gespielter Verwunderung zog sie die Augenbrauen hoch: »Du kommst hierher zurück?«
»Wohin sollte ich denn sonst gehen?« wollte er (aufrichtig verwundert) sagen, aber er schwieg.
Sie fuhr fort: »Damit alles klar ist zwischen uns, ich habe nichts dagegen, wenn du sofort zu ihr ziehst.«
Als er ihr am Tag der Abreise alles gestand, hatte er keinen konkreten Plan. Er war bereit, nach der Rückkehr in aller Freundschaft zu besprechen, wie alles geregelt werden könnte, damit er sie so wenig wie möglich verletzte. Er hatte nicht damit gerechnet, daß sie selbst kalt und beharrlich darauf bestehen würde, daß er auszog.
Obwohl das seine Situation erleichterte, konnte er sich der Enttäuschung nicht erwehren. Sein Leben lang hatte er gefürchtet, sie zu verletzen; nur aus diesem Grunde hatte er sich die freiwillige Disziplin einer verdummenden Monogamie auferlegt. Und nun mußte er nach zwanzig Jahren feststellen, daß seine Rücksicht völlig fehl am Platze gewesen war und er aufgrund dieses Mißverständnisses andere Frauen verloren hatte. Nach seiner Nachmittags-Vorlesung ging er von der Universität direkt zu Sabina. Er wollte sie fragen, ob er bei ihr übernachten konnte. Er klingelte, aber es öffnete niemand. Er ging in eine Kneipe gegenüber und beobachtete ihren Hauseingang. Es war schon spät, und er wußte nicht, was er tun sollte.
Das ganze Leben hatte er mit Marie-Claude in einem Bett geschlafen. Wenn er jetzt nach Hause käme, wo sollte er sich hinlegen? Er könnte sein Bett auf dem Sofa im Nebenzimmer herrichten. Wäre das aber nicht eine zu demonstrative Geste?
Würde das nicht nach Feindseligkeit aussehen? Er
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