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Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins

Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins

Titel: Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Milan Kundera
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gewordene Eitelkeit. Statt nach dem Tode Vernunft anzunehmen, waren die Friedhofsbewohner noch törichter als zu Lebzeiten. Sie stellten ihre Wichtigkeit in Denkmälern zur Schau. Hier ruhten keine Väter, Brüder, Söhne und Großmütter, sondern Würdenträger und Amtsinhaber, Inhaber von Titeln, Graden und Ehren; sogar ein Postbeamter stellte seinen Rang und seine soziale Position zur Schau - seine Würde.
    Als sie durch die Friedhofshalle schritt, sah sie, daß nicht weit vom Weg eine Beerdigung stattfand. Der Zeremonienmeister hatte die Hände voller Blumen, die er an die Hinterbliebenen verteilte. Auch Sabina überreichte er eine. Sie schloß sich dem Trauerzug an. Sie mußten um mehrere Gräber herumgehen, um zu dem Grab zu gelangen, dessen Steinplatte abgehoben war. Sie beugte sich vor. Die Grube war unendlich tief. Sabina ließ ihre Blume fallen. In kleinen, kreisförmigen Bewegungen senkte sie sich auf den Sarg nieder. So tiefe Gräber gab es in Böhmen nicht. In Paris waren die Gräber so tief wie die Häuser hoch. Ihr Blick fiel auf die Steinplatte, die neben dem Grab lag. Sie wurde von Entsetzen gepackt und eilte nach Hause.
    Sie mußte den ganzen Tag an diesen Stein denken. Warum hatte er sie dermaßen entsetzt?
    Sie antwortete: Wenn das Grab mit einem Stein zugedeckt ist, kann der Tote nie mehr herauskommen.
    Aber der Tote kann ohnehin nicht wieder herauskommen!
    Ist es dann nicht einerlei, ob er unter der Erde oder unter  einem Stein liegt?
    Nein, es ist nicht einerlei: wenn man das Grab mit einem Stein zudeckt, so will man nicht, daß der Tote zurückkommt. Der schwere Stein sagt zum Toten: »Bleib, wo du bist!«
    Sabina erinnert sich an das Grab ihres Vaters. Über seinem Sarg Hegt Erde, aus dieser Erde wachsen Blumen, und ein Ahornbaum streckt seine Wurzeln bis zum Sarg hinunter, so daß man sich vorstellen kann, daß der Tote durch diese Wurzeln und Blumen aus dem Grab steigt. Wäre ihr Vater mit einem Stein zugedeckt, so hätte sie nach seinem Tode nie mehr mit ihm sprechen können, nie mehr in der Baumkrone seine Stimme gehört, die ihr verzieh.
    Wie sieht wohl der Friedhof aus, auf dem Teresa und Tomas ruhen?
    Von neuem kehrten ihre Gedanken zu den beiden zurück.
    Sie fuhren öfter in die Nachbarstadt und übernachteten in einem Hotel. Diese Briefstelle hatte sie sehr berührt. Sie deutete darauf hin, daß sie glücklich waren. Wieder sah sie Tomas vor sich, als wäre er eines ihrer Bilder: im Vordergrund ein Don Juan, wie ein Bühnenbild, von einem naiven Maler gemalt, aber durch einen Riß in der Dekoration sieht man einen Tristan. Er war als Tristan gestorben, nicht als Don Juan. Sabinas Eltern waren in derselben Woche gestorben. Tomas und Teresa in derselben Sekunde. Plötzlich hatte sie Sehnsucht nach Franz.
    Als sie ihm einst von ihren Streifzügen durch die Friedhöfe erzählt hatte, da schauderte es ihn, und er nannte den Friedhof einen Schuttplatz für Knochen und Steine. In jenem Moment tat sich ein Abgrund des Unverständnisses zwischen ihnen auf. Erst heute, auf dem Friedhof von Montparnasse, verstand sie, was er gemeint hatte. Es tat ihr leid, daß sie so ungeduldig gewesen war. Wären sie länger zusammengeblieben, hätten sie vielleicht die Worte verstanden, die sie einander sagten. Der Wortschatz des einen hätte sich verschämt und langsam dem des anderen genähert, wie zwei schüchterne Liebende, und die Musik des einen hätte angefangen, in der Musik des anderen aufzugehen. Nun aber war es zu spät.
    Ja, es ist zu spät, und Sabina weiß, daß sie nicht in Paris bleiben, sondern weiterziehen wird, noch weiter weg. Würde sie nämlich hier sterben, würde man sie unter einen Stein sperren, und für eine Frau, die nirgends zur Ruhe kommen kann, ist die Vorstellung unerträglich, daß ihrer Flucht für immer ein Ende gesetzt wird.
    11.
    Alle Freunde von Franz hatten von Marie-Claude gewußt, und alle wußten von seiner Studentin mit der großen Brille.
    Nur von Sabina wußte niemand. Franz hatte sich geirrt, als er meinte, seine Frau hätte ihren Freundinnen von ihr erzählt. Sabina war eine schöne Frau, und Marie-Claude hatte nicht gewollt, daß man ihre Gesichter miteinander verglich.
    Weil er fürchtete, entdeckt zu werden, hatte er weder ein Bild noch eine Zeichnung von ihr besessen, nicht einmal ein Foto.
    So war sie spurlos aus seinem Leben verschwunden. Er hatte keinen greifbaren Beweis dafür, daß er das schönste Jahr seines Lebens mit ihr verbracht hatte.
    Um so

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