Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins
mehr gefällt es ihm, Sabina treu zu bleiben.
Wenn sie allein im Zimmer sind, hebt seine junge Freundin manchmal den Blick von ihrem Buch und schaut ihn forschend an: »Woran denkst du?«
Franz sitzt in einem Sessel, die Augen an die Decke geheftet. Was immer er ihr antworten mag, ganz gewiß denkt er an Sabina.
Wenn er eine Studie in einer Fachzeitschrift publiziert, dann ist die Studentin seine erste Leserin und will mit ihm darüber diskutieren. Er aber denkt daran, was Sabina wohl zu diesem Text sagen würde. Alles, was er tut, tut er für Sabina, und zwar so, daß es ihr gefallen würde.
Das ist eine sehr unschuldige Untreue, die ganz genau auf Franz zugeschnitten ist, der seiner Freundin mit der Brille nie weh tun könnte. Dem Sabinakult huldigt er eher aus Religiosität denn aus Liebe.
Aus der Theologie seiner Religion geht hervor, daß die junge Geliebte ihm von Sabina geschickt worden ist. Seine irdische und seine überirdische Liebe stehen in einem perfekten Einklang. Die überirdische Liebe enthält notwendigerweise (weil sie überirdisch ist) einen großen Teil an Unerklärbarem und Unverständlichem (erinnern wir uns an das Verzeichnis der unverstandenen Wörter, diese lange Auflistung von Mißverständnissen), seine irdische Liebe hingegen beruht auf dem wahrhaftigen Verstehen des anderen.
Die Studentin ist viel jünger als Sabina, die Komposition ihres Lebens ist kaum skizziert, und sie webt dankbar Motive ein, die sie von Franz übernimmt. Franz' Großer Marsch ist auch ihr Glaubensbekenntnis. Musik ist für sie dionysischer Rausch, genau wie für ihn. Oft gehen sie zusammen tanzen.
Sie leben in der Wahrheit, haben vor den anderen keine Geheimnisse. Sie suchen die Gesellschaft von Freunden, Kollegen, Studenten und Unbekannten, sitzen gern mit ihnen zusammen, trinken und plaudern. Oft machen sie Wanderungen in den Alpen. Franz beugt sich vor und das Mädchen springt ihm auf den Rücken, er trabt mit ihr über die Wiesen und rezitiert mit lauter Stimme ein langes deutsches Gedicht, das seine Mutter ihm beigebracht hat, als er noch klein war. Das Mädchen lacht, hält seinen Hals umschlungen und bewundert seine Beine, seine Schultern, seine Lungen.
Nur Franz' sonderbare Sympathie für alle Länder, die unter dem Joch des russischen Reiches stehen, bleibt ihr unverständlich. Zum Jahrestag der Invasion organisiert ein tschechischer Verein in Genf eine Gedenkfeier. Im Saal sitzen nur wenige Leute. Der Redner hat graues Haar mit einer Dauerwelle. Er hält eine lange Rede, mit der er selbst die letzten Enthusiasten langweilt, die gekommen sind, um ihn zu hören. Er spricht ein fehlerfreies Französisch, aber mit einem gräßlichen Akzent. Um seine Gedanken zu unterstreichen, hebt er immer wieder den Zeigefinger, als wollte er dem Publikum im Saal drohen.
Das Mädchen mit der Brille sitzt neben Franz und unterdrückt ein Gähnen. Doch Franz lächelt selig. Er schaut auf den grauhaarigen Mann, den er trotz seines wunderlichen Zeigefingers sympathisch findet. Dieser Mann scheint ihm ein geheimer Bote zu sein, ein Engel, der die Verbindung zwischen ihm und seiner Göttin aufrechterhält. Er schließt die Augen und beginnt zu träumen. Er schließt die Augen, wie er sie auf Sabinas Körper geschlossen hat, in fünfzehn europäischen und einem amerikanischen Hotel.
VIERTER TEIL KÖRPER UND SEELE
Teresa kam gegen halb zwei in der Nacht nach Hause, ging ins Badezimmer, zog einen Pyjama an und legte sich zu Tomas. Er schlief. Sie neigte sich über sein Gesicht, und als sie es küßte, stellte sie fest, daß sein Haar sonderbar roch. Sie schnupperte wieder und wieder. Wie ein Hund schnüffelte sie an seinem Kopf herum und begriff: es war der Geruch eines weiblichen Schoßes.
Um sechs klingelte der Wecker. Das war Karenins Zeit. Er wachte immer viel früher auf als sie beide, wagte aber nicht, sie zu stören. Ungeduldig wartete er auf das Rasseln, das ihm erlaubte, aufs Bett zu springen, auf ihren Körpern herumzutapsen und sie mit der Schnauze anzustoßen. Vor langer Zeit hatten sie ihm das abgewöhnen wollen, indem sie ihn vom Bett warfen, er war aber hartnäckiger als sie und hatte sich schließlich seine Rechte erkämpft. Teresa hatte vor kurzer Zeit erst festgestellt, daß es nicht unangenehm war, von Karenin am neuen Tag begrüßt zu werden. Für ihn war das Aufwachen ein Moment vollkommenen Glücks: naiv und töricht wunderte er sich, wieder auf der Welt zu sein und freute sich aufrichtig. Sie
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