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Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins

Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins

Titel: Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Milan Kundera
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überflüssige Information geliefert? Er war ganz und gar unzufrieden mit sich selbst.
    Vierzehn Tage später kam der Mann vom Ministerium wieder. Er wollte wieder in die Wirtschaft gegenüber gehen, doch Tomas bat ihn, im Sprechzimmer zu bleiben.
    »Ich verstehe Sie, Herr Doktor«, sagte er lächelnd.
    Dieser Satz ließ Tomas aufhorchen. Der Mann vom Ministerium sprach wie ein Schachspieler, der seinem Gegner bestätigt, mit dem vorangehenden Zug einen Fehler gemacht zu haben.
    Sie saßen sich auf ihren Stühlen gegenüber, zwischen ihnen stand Tomas' Schreibtisch. Nach etwa zehn Minuten, in denen sie sich über die grassierende GrippeEpidemie unterhielten, sagte der Mann: »Wir haben über Ihren Fall nachgedacht, Herr Doktor. Würde es nur um uns gehen, so wären die Dinge einfach. Wir müssen aber auf die öffentliche Meinung Rücksicht nehmen. Ob Sie es wollen oder nicht, Sie haben mit Ihrem Artikel die antikommunistische Hysterie geschürt. Ich will Ihnen nicht verheimlichen, daß man sogar vorgeschlagen hat, Sie wegen Ihres Artikels vor Gericht zu stellen. Dafür gibt es einen Paragraphen. Öffentliche Anstiftung zur Gewalt.«
    Der Mann vom Ministerium verstummte und sah Tomas in die Augen. Tomas zuckte die Schultern. Der Mann schlug einen beschwichtigenden Ton an: »Wir haben diesen Vorschlag abgelehnt. Wie immer es um Ihre Schuld stehen mag, es liegt im Interesse der Gesellschaft, daß Sie dort arbeiten, wo Ihre Fähigkeiten am besten eingesetzt werden können.
    Der Chefarzt schätzt Sie sehr. Und wir haben auch Berichte von Ihren Patienten. Sie sind ein großer Spezialist, Herr Doktor! Niemand kann von einem Arzt verlangen, daß er sich in der Politik auskennt. Sie haben sich aufs Glatteis fuhren lassen. Man sollte die Sache bereinigen. Wir möchten Ihnen deshalb den Text der Erklärung vorschlagen, die Sie unserer Meinung nach der Presse zur Verfügung stellen sollten. Wir werden dafür sorgen, daß sie zum richtigen Zeitpunkt veröffentlicht wird«, und er überreichte Tomas ein Papier.
    Tomas las, was darauf geschrieben stand, und erstarrte vor Schreck. Das war weit schlimmer als das, was sein Chefarzt vor zwei Jahren von ihm verlangt hatte. Es war nicht einfach ein Widerruf seines Ödipus-Artikels. Da gab es Sätze über die Liebe zur Sowjetunion, über die Treue zur kommunistischen Partei, es ging um die Verurteilung von Intellektuellen, die das Land angeblich in den Bürgerkrieg hatten führen wollen, vor allem aber enthielt der Text eine Denunziation der Redakteure der Wochenzeitung der Schriftsteller, in der der große, gebeugte Redakteur namentlich erwähnt wurde (Tomas hatte ihn nie getroffen, kannte ihn aber dem Namen nach und von Fotografien her). Diese hätten seinen Text bewußt mißbraucht, indem sie ihm einen anderen Sinn gegeben hätten, um ihn in einen konterrevolutionären Aufruf zu verwandeln; sie selber seien zu feige gewesen, einen solchen Artikel zu verfassen und hätten sich hinter einem naiven Arzt versteckt.
    Der Mann vom Ministerium bemerkte das Entsetzen in Tomas' Augen. Er neigte sich vor und klopfte ihm unter dem Tisch kameradschaftlich aufs Knie: »Herr Doktor, das ist nur ein Vorschlag! Sie werden es sich überlegen, und wenn Sie die eine oder die andere Formulierung abändern wollen, so können wir uns selbstverständlich darüber einigen. Schließlich ist es Ihr Text.«
    Tomas gab dem Polizisten das Papier zurück, als fürchtete er, es auch nur eine Sekunde länger in seinen Händen zu halten. Er ließ es beinahe fallen, als glaubte er, jemand könnte darauf seine Fingerabdrücke suchen.
    Statt das Papier an sich zu nehmen, breitete der Mann vom Ministerium in gespielter Verwunderung die Arme aus (es war dieselbe Geste, mit der der Papst vom Balkon herab die Menschenmenge segnet): »Aber Herr Doktor, warum wollen Sie mir das zurückgeben? Behalten Sie es ruhig. Überdenken Sie es zu Hause in Ruhe.«
    Tomas schüttelte den Kopf und hielt das Papier geduldig in der ausgestreckten Hand. Der Mann vom Ministerium hörte auf, den segnenden Papst nachzuahmen, und mußte das Papier schließlich zurücknehmen.
    Tomas wollte ihm sehr energisch sagen, daß er niemals etwas schreiben oder unterschreiben würde. Im letzten Augenblick änderte er dann aber den Ton: »Ich bin schließlich kein Analphabet. Warum sollte ich etwas unterschreiben, das ich nicht selbst geschrieben habe?«
    »Schon gut, Herr Doktor, wir können auch anders herum vorgehen. Erst schreiben Sie es selbst, und dann

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