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Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins

Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins

Titel: Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Milan Kundera
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wehrte er ab.
    »Das war meine Schuld«, sagte sie und fügte dann mit leiser, unschuldig klingender Stimme hinzu: »Ich werde Sie nochmals kommen lassen müssen, damit Sie das zu Ende bringen, was Sie meinetwegen nicht haben anfangen können.«
    Als Tomas sich weigerte, ihr den Bericht zum Unterschreiben zu geben, sagte sie zärtlich, als bäte sie ihn um einen Gefallen: »Bitte, geben Sie ihn mir.« Dann fügte sie hinzu, indem sie mit den Augen blinzelte: »Das bezahle ja nicht ich, sondern mein Mann. Und bezahlt werden nicht Sie, sondern ein Staatsbetrieb. Diese Transaktion betrifft uns beide überhaupt nicht.«
    11.
    Die sonderbare Unproportioniertheit dieser giraffenähnlichen Storchenfrau erregte ihn noch in der Erinnerung: mit Ungeschicklichkeit gekoppelte Koketterie; eindeutige sexuelle Lust, ergänzt durch ironisches Lächeln; das vulgär Konventionelle der Wohnung und das Unkonventionelle ihrer Besitzerin. Wie würde sie wohl sein, wenn sie sich liebten? Er versuchte es sich vorzustellen, aber es war nicht einfach. Mehrere Tage lang konnte er an nichts anderes denken.
    Als sie ihn zum zweiten Mal bestellte, standen der Wein und die zwei Gläser schon auf dem Tisch. Diesmal ging alles sehr schnell. Bald schon standen sie sich im Schlafzimmer gegenüber (auf dem Bild mit den Birken ging die Sonne unter) und küßten sich. Er sagte ihr sein obligates »Ziehen Sie sich aus!«, doch statt zu gehorchen, forderte sie ihn auf: »Nein, zuerst Sie!«
    Das war er nicht gewohnt, und er geriet etwas in Verlegenheit. Sie begann, ihm die Hose aufzuknöpfen. Er befahl ihr noch ein paarmal (mit komischem Mißerfolg): »Ziehen Sie sich aus!«, doch blieb ihm nichts anderes übrig, als auf einen Kompromiß einzugehen; nach den Spielregeln, die sie ihm bereits beim ersten Mal aufgezwungen hatte (»Wie du mir, so ich dir!«) zog sie ihm die Hose aus und er ihr den Rock, dann sie ihm das Hemd und er ihr die Bluse, bis sie sich endlich nackt gegenüberstanden. Er hatte die Hand in ihren feuchten Schoß gelegt und ließ die Finger zur Afteröffnung gleiten, zu der Stelle, die er an allen weiblichen Körpern am meisten mochte. Die ihre war ungewöhnlich hervortretend, was in ihm die Vorstellung eines langen Verdauungsrohrs wachrief, das hier leicht vorragend endete. Er tastete den festen, gesunden Ring ab, diesen schönsten aller Fingerringe, in der Sprache der Medizin Schließmuskel genannt, und auf einmal spürte er ihre Finger an derselben Stelle auf seinem eigenen Hinterteil. Sie wiederholte alle seine Gesten mit der Präzision eines Spiegels.
    Obwohl er, wie ich bereits gesagt habe, etwa zweihundert Frauen gekannt hatte (und seit er Fensterputzer war, noch viele mehr), war es ihm noch nie passiert, daß eine Frau, die auch noch größer war als er, vor ihm stand, mit den Augen blinzelte und ihm die Afteröffnung abtastete. Um seine Betretenheit zu überwinden, warf er sie aufs Bett.
    Seine Bewegung war so abrupt, daß er sie überrumpelte.
    Ihre hohe Gestalt fiel auf den Rücken, das Gesicht war von roten Flecken bedeckt und es lag darin der erschrockene Ausdruck eines Menschen, der das Gleichgewicht verloren hat. Als er so vor ihr stand, faßte er sie unter den Knien und hob ihre leicht gespreizten Beine in die Höhe, so daß sie auf einmal aussahen wie die hocherhobenen Arme eines Soldaten, der sich erschreckt vor gezückter Waffe ergibt.
    Die mit Leidenschaftlichkeit gepaarte Ungeschicklichkeit, die mit Ungeschicklichkeit gepaarte  Leidenschaftlichkeit erregten Tomas wunderbar. Sie liebten sich sehr lange. Er beobachtete dabei ihr von roten Flecken bedecktes Gesicht und suchte darin den erschrockenen Ausdruck einer Frau, der jemand das Bein gestellt hat und die hingefallen ist, diesen unnachahmlichen Ausdruck, der ihm gerade das Blut der Erregung in den Kopf getrieben hatte.
    Dann ging er ins Badezimmer, um sich zu waschen. Sie begleitete ihn und erklärte ihm lang und breit, wo die Seife und wo der Waschlappen waren und wie man das warme Wasser andrehte. Es kam ihm sonderbar vor, daß sie ihm diese simplen Dinge so ausführlich erklärte. Schließlich sagte er, er habe alles begriffen und gab ihr zu verstehen, daß er gern allein im Badezimmer sein wollte.
    Sie sagte in bettelndem Ton: »Sie lassen mich nicht bei Ihrer Toilette assistieren?«
    Zu guter Letzt schaffte er es doch, sie hinauszuschicken.
    Er wusch sich, urinierte ins Waschbecken (eine weitverbreitete Gewohnheit tschechischer Ärzte), und es schien ihm, als

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