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Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins

Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins

Titel: Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Milan Kundera
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ginge sie ungeduldig auf und ab und suchte einen Vorwand, um in das Badezimmer einzudringen. Als er den Wasserhahn zudrehte und in der Wohnung völlige Stille herrschte, hatte er das Gefühl, daß sie ihn beobachtete. Er war fast sicher, daß sie ein Loch in die Badezimmertür gebohrt hatte und ihr schönes, blinzelndes Auge darauf drückte.
    Er verließ sie in glänzender Laune. Er versuchte, sich das Wesentliche noch einmal zu vergegenwärtigen, es in der Erinnerung zu abstrahieren und auf eine chemische Formel zu bringen, um ihre Einzigartigkeit (ihr Millionstel an Unähnlichem) zu definieren. Schließlich kam er auf eine aus drei Punkten bestehende Formel:
    1. mit Leidenschaftlichkeit gepaarte Unge-schicklichkeit;
    2. erschrockenes Gesicht von jemandem, der das Gleichgewicht verliert und hinfällt;
    3. hochgehobene Beine, wie die Arme eines Soldaten, der sich vor gezückter Waffe ergibt.
    Als er sich das wiederholte, hatte er das glückliche Gefühl, sich wieder eines Stücks Welt bemächtigt zu haben; mit seinem imaginären Skalpell wieder einen schmalen Stoffstreifen aus der unendlichen Leinwand des Alls herausgeschnitten zu haben.
    12.
    Etwa zur gleichen Zeit trug sich folgende Geschichte zu: Er traf sich ein paarmal mit einem jungen Mädchen in einer Wohnung, die ihm ein alter Freund täglich bis Mitternacht zur Verfügung stellte. Nach ein oder zwei Monaten erinnerte sie ihn an ein Zusammensein: sie hätten sich auf dem Teppich unter dem Fenster geliebt, während draußen Blitze zuckten und Donner grollte. Sie hätten sich während des ganzen Gewitters geliebt, und es sei etwas Unvergeßliches gewesen!
    Tomas erschrak: gewiß, er erinnerte sich, sie auf dem Teppich geliebt zu haben (sein Freund hatte nur ein schmales Sofa in der Wohnung stehen, auf dem er sich nicht wohl fühlte), das Gewitter aber hatte er vergessen! Sonderbar: er konnte sich an die wenigen Begegnungen mit ihr erinnern, er hatte sogar die Art und Weise registriert, wie sie sich liebten, (sie weigerte sich, sich von hinten lieben zu lassen), er erinnerte sich an ein paar ihrer
    Aussprüche beim Lieben (sie bat ihn immer, er möge sie fest an den Hüften halten und protestierte, wenn er sie ansah), er erinnerte sich sogar an den Schnitt ihrer Wäsche, doch von einem Gewitter wußte er nichts.
    Sein Gedächtnis registrierte von all seinen Liebesabenteuern nur den steilen und schmalen Weg der sexuellen Eroberung: die erste verbale Aggression, die erste Berührung, die erste Obszönität, die sie einander sagten, alle winzigen Perversionen, zu denen er sie nach und nach bewegen konnte, und auch diejenigen, die sie ablehnte. Der Rest war (irgendwie pedantisch) aus seinem Gedächtnis verbannt. Er vergaß sogar den Ort, wo er diese oder jene Frau zum ersten Mal gesehen hatte, weil dieser Augenblick noch vor dem eigentlichen sexuellen Angriff lag.
    Das Mädchen redete über das Gewitter, lächelte verträumt und er sah sie verwundert und fast beschämt an: sie hatte etwas Schönes erlebt, was er nicht miterlebt hatte. In der Art und Weise, wie ihr und sein Gedächtnis auf das abendliche Gewitter reagierten, lag der ganze Unterschied zwischen Liebe und Unliebe.
    Mit dem Wort Unliebe will ich nicht sagen, daß er sich zu dem Mädchen wie ein Zyniker verhielt und in ihr, wie man so sagt, nur ein Sexualobjekt sah, im Gegenteil, er mochte sie als Freundin, er schätzte ihren Charakter und ihre Intelligenz, er war bereit, ihr zu helfen, wann immer sie es brauchte. Das war nicht er selbst, der sich ihr gegenüber schlecht benahm, es war sein Gedächtnis, das sie ohne sein Zutun aus der Sphäre der Liebe ausgeschlossen hatte.
    Allem Anschein nach gibt es im Gehirn eine ganz spezielle Zone, die man poetisches Gedächtnis nennen könnte, und die aufzeichnet, was unser Leben schön macht. Seit der Zeit, da er Teresa kannte, hatte keine einzige Frau mehr das Recht, in diesem Teil des Gehirns auch nur die flüchtigste Spur zu hinterlassen.
    Teresa hielt sein poetisches Gedächtnis despotisch besetzt und hatte die Spuren anderer Frauen darin verwischt. Das war ungerecht, weil zum Beispiel das Mädchen, das er während des Gewitters auf dem Teppich geliebt hatte, der Poesie nicht weniger würdig war als Teresa. Sie schrie ihn an: »Schließ die Augen! Halt meine Hüften! Halt mich fest!«, sie konnte es nicht ertragen, daß Tomas beim Lieben die Augen konzentriert und beobachtend offenhielt und mit seinem leicht von ihr abgehobenen Körper ihre Haut nicht

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