Die Ungehorsame Historischer Roman
»Ich habe hier ein kleines Geschenk für die Zwillinge. Die beiden lesen doch gerne, nicht wahr?«
»Bücherwürmer sind sie.« Leonie nahm das schön verpackte Buch an sich und bedankte sich. »Ich gebe es ihnen aber erst morgen. Ich fürchte, heute werden sie nur noch gefüttert und zu Bett geschickt.«
»Leonie?«
»Ja?«
»Ich bin deine Freundin. Was immer geschieht, was immer du erfährst, was immer man dir sagt.«
»Und mein Mann ist mein Mann, was immer geschieht.«
»Du liebst ihn sehr, nicht wahr?«
»Ja, das tue ich wohl.«
Camilla umarmte sie heftig, und Leonie spürte heiße Tränen an ihrer Wange. Dann löste sich ihre Freundin und verließ das Zimmer.
Ja, die beiden kannten einander. Sehr gut, wie es schien.
Beobachtungen
DA ICH EIN KNABE WAR,
RETTET’ EIN GOTT MICH OFT
VORM GESCHREI UND DEN RUTEN DER MENSCHEN.
Hölderlin: Da ich ein Knabe war
Lennard hatte einen Verweis bekommen, und etwas betreten musste er ihn nun Frau Mansel beichten. Er hoffte, sie würde nicht zu traurig darüber sein. Sie schimpfte nur ganz selten, und dann war das auch richtig. Und geschlagen worden waren weder er noch Ursel bisher in diesem Haus. Aber es gab Dinge - na ja, da wusste er schon selbst, dass die nicht ganz richtig waren -, die betrübten sie.
Gut, er hatte die Maus aufgezogen und in der langweiligen Stunde von Fräulein Winter, einer grauhaarigen alten Jungfer, lossausen lassen, und der Literaturunterricht wurde dadurch doch recht unterhaltsam aufgefrischt.
Nun musste er die »Glocke« auswendig lernen. Ein elend langes Gedicht.
Und einen Verweis hatte er bekommen. Im Buch vermerkt.
Würde auch im Zeugnis stehen.
Nächste Woche.
Er brachte es am besten gleich vor dem Essen hinter sich.
Und zwei Pfennige für ein Sträußchen von der Blumenfrau wollte er auch opfern. Darüber hatte sie sich das letzte Mal sehr gefreut.
Mit dem Bund aus Margeriten und kleinen Röschen stand er also nun im Wintergarten und scharrte ein wenig mit den Füßen. Frau Mansel, die in dem Buch las, das ihnen die nette Frau Jacobs geschenkt hatte, sah auf, und ihre hübschen, goldbraunen Augen leuchteten, als sie die Blumen sah. Dann aber wurde ihr Gesicht ernst und streng.
»Lennard, ich wüsste nicht, welch hohes Fest wir heute feiern, also scheint mir deine Gabe wohl den Sinn zu haben, mich gütlich zu stimmen.«
Entsetzlich, wie diese Frauenzimmer einen immer durchschauten. Er murmelte etwas und ärgerte sich, dass er rot wurde.
»Wen hast du verprügelt?«
»Niemanden, Frau Mansel. Ehrlich nicht.«
»Eine Strafarbeit?«
Er nickte stumm und streckte ihr, er merkte es selbst, ein wenig unbeholfen die Blumen hin. In ihrem Gesicht zuckte es. Ob sie weinen würde. Gott, bloß das nicht!
»Ich … na ja, da war die … Wir hatten noch eine Maus übrig!«, stieß er hervor.
»Aha. In welcher Lektion?«
»Literatur, bei Fräulein Winter.«
»So. Ja, die Stunde hätte ich auch gewählt.«
»Was?«
Vollkommen verdattert sah er in Frau Mansels zwinkernde Augen.
»Hast du einen Verweis bekommen?«
»Ja. Und die ›Glocke‹.«
»Dann bist du bestraft genug.«
»Sie sind nicht böse?«
»Du weißt doch selbst, dass es nicht - mh - ganz ›de bon ton‹ war, oder?«
Kleinlaut nickte er. Aber dann kam die Erinnerung wieder. »Sie ist auf den Stuhl geklettert und hat gequiekt!«
»Auch nicht ›de bon ton‹.«
»Nein, nicht. Sie würden ja noch nicht mal bei einer echten Ratte quieken.«
»Lass es lieber nicht darauf ankommen, Bürschchen!«
Er erhielt einen Klaps und wurde zum Essen geschickt.
Mann, war das ein prima Frauenzimmer! Und wenn er die ganze Nacht über Schillers Versen hinge, morgen würde er das Gedicht können!
Aber eine kleine Ablenkung gab es denn doch noch. Der Herr war zu ihnen ins Schulzimmer gekommen und hatte freundlich nachgefragt, woran man denn so arbeitete. Ursel hatte ihm aus dem Buch vorgelesen, was sie sehr gut konnte. Und Lennard und der Herr hatten gelauscht, was diese Schriftstellerin - man stelle sich vor, eine Frau, die ein ganzes Buch geschrieben hatte! -, also diese Christiane
Benedikte Naubert zu erzählen wusste. Es nannte sich »Almé oder Ägyptische Märchen«.
Ursel las: » Die Almé der Ägypter gehört zu dem Luxus dieses Landes. Diesen Namen führen eine gewisse Art Mädchen, die, um das Publikum mit ihren Talenten ergötzen zu können, eine sorgfältigere Erziehung genossen. Schönheit der Stimme, Kenntnis der Musik und der Dichtkunst muß bei einer
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