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Die Ungehorsame Historischer Roman

Titel: Die Ungehorsame Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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im Garten, und Leonie blinzelte in die Sonne hinaus. Im Wintergarten war es warm, aber Rike hatte zusätzlich noch eine weiche Decke über sie gelegt. Jeden Tag stand sie nun länger auf, kleidete sich auch an und saß müßig an den Fenstern. Hin und wieder blätterte sie in einem Buch, aber eine unerklärliche Apathie hielt sie noch immer gefangen. Sie war sich selbst nicht gut - eigentlich gab es so viel zu tun. Schon wusste sie nicht mehr genau, was die Kinder in der Schule lernten, hatte schon lange den Nachrichten aus der Gesellschaft keine Aufmerksamkeit mehr geschenkt, sich weder um die Belange des Haushalts gekümmert noch der Wohltätigkeitsarbeit gewidmet. Selbst die zahlreichen Briefe, die eingetroffen waren, hatte sie ohne Interesse gelesen und unbeantwortet gelassen.
    Ihr Körper hatte sich erholt, ihr Appetit war zwar noch schwach, aber durchaus vorhanden, jedoch der innere Antrieb fehlte ihr völlig. Die Besuche von Selma, Margitta, Sebastienne und anderen Damen hatten sie unsäglich erschöpft. Hendryk hingegen war ununterbrochen unterwegs, die Arbeiten an der Eisenbahn hielten ihn derzeit völlig in Atem, dennoch fand er abends immer noch Zeit, sich zu ihr zu setzen, ihr von den Fortschritten zu berichten, die die Fertigstellung der Bahn machte. Man war inzwischen so weit, die Gleise durch die Stadtmauer am Pantaleons-Tor zu verlegen und den dahinter liegenden Bahnhof zu bauen. Oder er las ihr interessante Artikel aus der Zeitung vor. Sie bemühte sich redlich, ihm Aufmerksamkeit
zu schenken. Er hatte sich die ganzen Wochen ihrer Krankheit so liebevoll um sie gekümmert. Er hatte sie sogar gefragt, ob sie das von ihm so verachtete Morphium einnehmen wolle. Sie hatte es abgelehnt. Gegen die Schmerzen, die sie empfand, half keine Betäubung. Was ihr half, war, dass er manchmal nachts ihre Hand hielt oder sie an seine Wange zog. Und nie hatte er auch nur das leiseste Wort des Vorwurfs geäußert, sie nie mit Fragen gequält.
    Auch die Kinder waren unbeschreiblich lieb zu ihr, brachten kleine Sträußchen, selbst gemalte Bilder oder Scherenschnitte. Ja, Lennard hatte ihr zuliebe sogar ein Gedicht auswendig gelernt und ohne Vorsagen durch Ursel aufgesagt.
    Sie ertappte sich bei einem Lächeln und freute sich darüber. Sie würde sich aufraffen, morgen, heute noch nicht, aber morgen ganz bestimmt. Denn das Erstaunlichste, was die beiden angeschleppt hatten, war eine mehr als zwei Ellen lange Schlangenhaut. Nein, nicht von einer richtigen Schlange, aber offensichtlich hatten sie alle erdenklichen Anstrengungen und Überlegungen angestellt und schließlich einen Taschenmacher gefunden, vermutlich mit Hannos Hilfe, der ein dünnes Leder entsprechend ihren Anweisungen gefärbt und gepunzt hatte, wodurch es wie die schuppige Haut einer Kobra aussah. Sie musste eigentlich jetzt nur noch eine Lösung finden, wie der kleine aufziehbare Mechanismus, den sie im Schädel der Schlange unterbringen wollte, die ganze Konstruktion zum Schlängeln bringen konnte.
    Aber ihr Kopf war so leer und begann immer gleich zu schmerzen, wenn sie zu intensiv nachdachte.
    »Gnädige Frau!«
    Rike stand in der Tür und sah sie ein wenig hilflos an.
    »Was gibt es denn, Rike?«
    »Die gnädige Frau Jacobs ist da, gnädige Frau, und sie will und will nicht weggehen.«
    Leonie seufzte. Ja, sie hatte Camilla auch vernachlässigt. Seit dem Bazar hatten sie sich nicht mehr getroffen, und ihre Besuche im letzten Monat hatte sie nicht angenommen. Sie gestand sich ein, dass sie die Vertraulichkeit der früheren Tage noch nicht ertragen konnte. Aber…
    »Bitte, gnädige Frau, sie ist sehr aufsässig!«

    »Eine Dame, Rike, ist nie aufsässig. Sie ist allenfalls ein wenig beharrlich. Führen Sie sie also herein, in Gottes Namen.«
    Camilla betrat leise in ihrer schwebenden Art den Wintergarten, und der feine Duft süßer Blumen entfaltete sich in der Wärme des Wintergartens.
    »Leonie, meine Liebe.«
    Zwei zarte Küsschen wurden ihr auf die Wangen gehaucht. Dann setzte sie sich auf den Polsterhocker, auf den bisher Leonie ihre Füße gelegt hatte.
    »Ich würde so gerne etwas für dich tun, und wenn das bedeutet, dass ich wieder gehen soll, dann werde ich auch das, Leonie.«
    »Nein, nein, Camilla. Ich bin diejenige, die so unhöflich war, dich nicht zu empfangen.«
    »Es ging dir schlecht. Ich verstehe das.«
    Leonie lehnte den Kopf an das hohe Polster des Fauteuils und schloss die Augen.
    »Es war ein bisschen mehr als das.

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