Die Ungehorsame Historischer Roman
hättest sie über Meilen hören müssen.«
»Du hast Recht, Camilla«, sagte sie plötzlich leise. »Das Einzige, das ich mir vorwerfen muss, ist, dass ich hätte vorhersehen können, was passiert. Und davor habe ich, aus Gründen, die ich sogar dir nicht anvertrauen kann, die Augen geschlossen.«
Endlich kamen die Tränen, und lange wiegte ihre Freundin sie in ihren Armen, bis sie schließlich erschöpft einschlief.
Irgendwann in der Nacht wachte Leonie auf und merkte, dass sie in Hendryks Armen lag. Sie rührte sich nicht, sondern schloss die Augen wieder, lauschte seinem ruhigen Atem und seinem Herzschlag und schlummerte wieder ein.
Der Raum war halb dunkel, als sie schließlich ganz aufwachte. Das Bett neben ihr leer, die Vorhänge vor den Fenstern geschlossen. Das war ungewöhnlich, denn Hendryk vertrug geschlossene Räume nicht. Sie krabbelte unter der Decke hervor und zog die Gardinen
auseinander. Heller Tag leuchtete ihr entgegen. Und ein Blick auf die Uhr verriet ihr, dass es schon beinahe zehn war. Sie hatte weit über zwölf Stunden geschlafen und stellte mit Befriedigung fest, dass sie sich besser fühlte als seit Tagen.
Sie klingelte nach ihrer Zofe.
Sie stand prompt in der Tür, doch es war nicht Rike, die in Häubchen und Schürze dort erschienen war, sondern Camilla.
»Die gnädige Frau wünschen?«, säuselte sie.
»Habe ich Rike während meiner geistigen Abwesenheit gekündigt und dich eingestellt? Kann ich mir deinen Lohn überhaupt leisten?«
»Ich werde dich finanziell ruinieren, Gnädige, aber dafür werde ich alle Zauberkünste anwenden, um dich wieder in ein ansehnliches menschliches Wesen zu verwandeln.«
Leonie lächelte, der heitere Ton fiel ihr plötzlich wieder leichter. Es war, als habe sich mit dem langen Schlaf auch ein Schatten verflüchtigt, der auf ihrer Seele gelegen hatte.
Der Schlaf hatte geholfen, die Tränen und wahrscheinlich auch das schmerzhafte Gespräch am Vortag.
»Man könnte mit einer Tasse Kaffee beginnen«, schlug sie vor.
»Eine gute Idee. Darauf sollte ein Bad folgen, Haarewaschen, eine leichte Massage und einige magische Tinkturen für Augen und Gesicht. Leg dich noch eine Weile nieder, ich kümmere mich um alles.«
»Warum, Camilla?«
»Weil du das heute brauchst.«
Sie hatte zwar schon an Kraft gewonnen, aber nicht genug Willensstärke, um sich gegen die Fürsorge zu wehren. Also folgte sie dem Rat.
Jette und Rike schleppten die Wanne und die Kannen mit heißem Wasser herbei. Ja, es gab Häuser, wie das von Jacobs, die ein eigenes Badezimmer mit einem Heißwasserboiler besaßen, aber der Erbauer dieses Hauses hatte noch nicht an solchen Luxus gedacht. Als sie ein Brötchen und einige Apfelschnitze gegessen hatte, war die Wanne gefüllt, und Camilla schickte die Haushälterin und die Zofe hinaus.
»Ich helfe dir.«
»Lass nur, Camilla. Ich komme gut alleine zurecht.«
»Du brauchst nicht genant zu sein, Leonie. In meiner Heimat baden die Frauen immer zusammen.«
Doch sie schämte sich, nicht nur der Nacktheit wegen, sondern weil sie wusste, wie hässlich die Narbe auf ihrem Bauch war. Aber irgendwie bewies ihre Freundin eine Beharrlichkeit, die zwar nicht an Aufsässigkeit, aber bestimmt an Unerbittlichkeit grenzte. Seufzend zog sie also das Nachthemd aus und stieg in die Wanne.
Camilla sagte nichts, aber in dem unwillkürlichen Zucken ihres Gesichts erkannte Leonie, dass sie die alte Wunde gesehen hatte. Mit einem Schwamm und einer wunderbar duftenden Seife wusch sie ihr schweigend den Rücken, schäumte ihr dann die Haare ein und spülte sie vorsichtig wieder aus. Schließlich hielt sie ihr ein großes Badetuch hin, das vor dem Kamin angewärmt worden war.
»Jetzt legst du dich bäuchlings auf das Bett, und ich werde dich mit einem Geheimnis des Harems vertraut machen!«
»Ich komme mir verhätschelt vor wie ein kleines Kind.«
»Na und? Ist das nicht schön? Ich fürchte, man hat dich viel zu wenig verhätschelt.«
Daran war viel Wahres, und folgsam legte Leonie sich auf den Bauch. Mit einem Öl, das zart nach Rosen und Vanille roch, rieb Camilla ihr den Rücken ein und begann dann, mit kräftigen, aber ungemein wohltuenden Bewegungen ihre Muskeln zu lockern.
»Manches vermisse ich hier in Deutschland. Heiße Bäder, Dampfbäder, Massagen, einfach den Genuss an der Körperpflege. Alle sind so prüde und verstecken ihre Körper unter Bergen von Stoffen, schnüren sich ein, bis sich die Rippen verbiegen, waschen sich mit kaltem
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