Die Ungehorsame Historischer Roman
meiner auch, meiner auch! Herr Kersting ist nämlich Handlungsreisender für die Firma Danwitz. Und da kommt er manchmal die ganze Woche nicht nach Hause.«
»Was stellt die Firma Danwitz her?«
»Ah, sicher, Sie wissen das ja alles noch nicht. Otto von Danwitz ist der Inhaber, sie haben ihren Sitz drüben in Deutz, dort sind auch die Laboratorien. Er ist Chemiker und stellt Arzneimittel her. Phantastische Sachen, sage ich Ihnen. Sie haben da ein Schmerzmittel entwickelt, tausendmal besser als das übliche Laudanum. Also, mein Gatte sagt, die in Darmstadt, Merck heißt die Firma, die vertreiben das auch, aber Danwitz hat wohl auch die Formel oder das Verfahren herausgefunden, wie man aus Rohopium einen Extrakt herstellen kann. Sie nennen es Morphium, und es ist nicht nur ein ganz vorzügliches Hustenmittel, es hilft auch bei Kopfschmerzen und allem anderen. Angeblich geben die Ärzte es sogar den Leuten, die sie operieren, damit die Qual geringer ist, wenn sie schneiden müssen.«
Leonie schauderte und drückte sich die Hand auf den Magen, denn die Limonade machte soeben Anstalten, wieder nach oben zu drängen.
»Oh Gott, oh Gott, was bin ich für ein dummes Plappermaul. Frau Mansel, das war kein schönes Thema, entschuldigen Sie. Vergessen Sie, was ich Ihnen gesagt habe. Haben Sie schon gehört, dass Jacobs, das ist ein Importeur, eine Ägypterin geheiratet hat? Eine ganz süße Frau. Meine Freundin Sonia von Danwitz hat sie schon kennengelernt. Jacobs hat sie bei seiner letzten Geschäftsreise nach Kairo getroffen und sich unsterblich in sie verliebt. Angeblich ist sie dort Hofdame oder so etwas gewesen. Und stellen Sie sich vor, er hat eine Reihe Bilder von der Gegend dort mitgebracht und wird sie in den nächsten Tagen ausstellen. Zur Vernissage wird ein Orientexperte einen Vortrag halten. Was meinen Sie, soll ich Ihnen und Herrn Mansel eine Einladung dazu beschaffen?«
Leonies Magen hatte sich unter dem Wortschwall wieder beruhigt, und sie nickte. »Ja, das wäre vielleicht eine ganz nette Idee. Auch mein Gatte hat einige Zeit im Orient verbracht. Es wird ihn sicher interessieren.« Sie hoffte, ihn wirklich überreden zu können, die Ausstellung zu besuchen, die sie selbst zu gerne sehen würde. Ferne Länder und Kulturen übten einen großen Reiz auf sie aus. Und auch die Ägypterin wollte sie gerne kennenlernen. »Ich weiß aber nicht, ob er mit dem Herrn Jacobs bekannt ist.«
»Er ist doch bei der Eisenbahn beschäftigt, nicht? Da sind etliche Herren unter den Aktionären, die ihn mit Sicherheit einführen können. Sah ich nicht letzthin die Frau von Alfter aus Ihrer Tür kommen?«
»Ah, ja, natürlich.«
Belustigt stellte Leonie fest, dass sie offensichtlich ausgiebig bespitzelt wurde.
»Sehen Sie, über die Alfters können wir Sie einführen. Was hat Ihr Gatte denn im Orient gemacht? Auch Eisenbahnlinien gebaut?«
»N… nein, ich glaube nicht. Er spricht nicht viel von der Zeit dort.«
»Ah, nun, es wird vielleicht etwas mit seiner Verletzung zu tun haben. Verzeihen Sie, ich bin ungebührlich neugierig. Probieren Sie doch von dem Kuchen, Frau Mansel. Es sind die Kirschen aus unserem Garten. Und wenn Ihre Frau Jette davon einige haben möchte, lasse ich ihr morgen einen Korb voll bringen!«
»Aber steigen Sie dazu besser nicht selbst in den Baum!«
Selma Kersting ließ ihr sprudelndes Lachen hören.
»Sie sind so süß, liebe Frau Mansel.«
»Der Kuchen ist köstlich. Ich denke, ich werde Jette empfehlen, Ihre Gabe anzunehmen.«
»Ich lege ihr auch gleich das Rezept dazu. Es stammt noch von meiner Großmutter. Stellen Sie sich vor, sie war es, die diesen Baum hier gepflanzt hat.«
»Tatsächlich. Das heißt, Sie leben schon lange hier in diesem Haus?«
»Oh ja, es war mein Erbe. Wir gehören zu dem, was man wirklich als Urgestein bezeichnen kann!«
Es kostet Leonie noch eine weitere halbe Stunde, bis sie sich endlich verabschieden konnte, und als ihr Jette die Tür öffnete, bemerkte sie deren unausgesprochenes Missfallen. Ihre undamenhafte Zaunübersteigung war offensichtlich ihren strengen Augen nicht verborgen geblieben. Sie reagierte auch sehr zurückhaltend auf die angebotenen Kirschen.
»Wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf, gnädige Frau, so ist es möglicherweise dem gnädigen Herren nicht recht, wenn Sie Umgang mit dieser - Person - von nebenan pflegen.«
»Sie dürfen sich diese Bemerkung zwar erlauben, aber meinen Umgang wähle ich noch immer selbst, Jette!«
»Wie Sie
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