Die Ungehorsame Historischer Roman
meinen eigenen Augen genug Staub gesehen, ich brauche keine Bilder und noch weniger gelehrte Vorträge über diese Länder.« Er sah, wie ihre Züge sich betrübten, und hob dann die Schultern. »Ich denke, es ist statthaft, wenn Sie mit Ihren Freundinnen alleine diese Veranstaltung aufsuchen.«
»Ja, das ließe sich wahrscheinlich einrichten. Obwohl Sie Herrn Jacobs ja auch kennen, nicht wahr?«
»Ganz flüchtig nur.«
Mit verschlossener Miene machte er sich nun über den ausgezeichneten Braten her, der ihm aber wenig Genuss bereitete. Seine Gedanken waren weit fort, in jenen staubigen Gegenden, nach denen er keinerlei Verlangen mehr verspürte. Zum Glück schien seine Frau nun endlich zu merken, dass er nicht unterhalten werden wollte. Sie aß ebenso schweigend wie er und versuchte auch später keine Konversation mit ihm zu beginnen, sondern überließ ihn der Lektüre der Kölnischen Zeitung.
Als die Pendeluhr halb elf schlug, wünschte er ihr eine gute Nacht und begab sich zu Bett.
Doch es wurde keine gute Nacht für ihn. Lange lag er noch wach und starrte aus dem geöffneten Fenster zum mondlosen Himmel hinauf, während sein Weib ruhig atmend neben ihm lag, das bis zum Kinn mit Spitzen besetzte Nachthemd züchtig zugenestelt, die Haare straff in einem Zopf geflochten, aus dem kein Löckchen zu entkommen wagte.
Dann war er doch eingeschlafen, aber erholsam war sein Schlummer nicht. Er wachte auf, weil sich eine Hand über seine fest geballte Faust schmiegte, die sich um das Kopfkissen gekrallt hatte.
»Sie haben böse Träume, Herr Mansel!«, flüsterte es leise an seinem Ohr. »Wachen Sie auf.«
»Ich bin wach.«
Ein Nachtlichtchen tanzte in einem durchbrochenen Messingschälchen und warf wunderliche Schatten an die Wände. In ihrem Schein wirkte das Gesicht seiner Frau sanft und besorgt. Er schloss die Augen und drehte sich weg. Auf dem Kopfkissen lag die Augenklappe, und er verfluchte sich im Stillen, nachlässig geworden zu sein.
»Schlafen Sie weiter, Leonora. Ich werde Sie jetzt nicht mehr mit
meinen unpassenden Träumen stören!«, murmelte er und merkte, wie sie sich wieder zurücklegte und kaum hörbar seufzte. Darum fügte er dann doch noch leise hinzu: »Aber danke, dass Sie mich geweckt haben.«
Der Morgen, es war ein sonniger, wenn auch recht frischer Samstag, hatte tatsächlich einen Großteil seiner Düsternis verscheucht, und obwohl er nur wenig Ruhe gefunden hatte, fühlte er sich sogar einigermaßen ausgeruht. Er hatte über eine ganze Reihe von Dingen nachgedacht und war schließlich zu dem Ergebnis gekommen, Ernst von Benningsen habe gar nicht so Unrecht mit seinen Vorwürfen. Er hatte eine Frau aus kühler Überlegung geheiratet, sich aber bedauerlich wenig Gedanken darüber gemacht, es könne neben dem geordneten Zusammenleben auch Momente geben, in denen man sich in einer solchen Beziehung der menschlichen Nähe nicht entziehen durfte. Leonora war Dame genug, um ausreichend Distanz zu wahren, darin hatte er sich nicht getäuscht. Aber sie hatte natürlich auch ein Recht auf ein gewisses Maß an Aufmerksamkeit von seiner Seite, und bevor sie sich gezwungen sah, sich bei solchen Schnatterbüchsen wie dieser Kersting oder der von Danwitz über seine Ungefälligkeit zu beklagen, wollte er lieber die Zeit darauf verwenden, einen geselligen Umgang mit ihr zu pflegen. Zumal er mit einiger angenehmer Überraschung bemerkt hatte, dass nicht nur Lennard, sondern auch Ursel Bücher aus ihrem eigenen kleinen Fundus erhalten hatten und mit offensichtlicher Freude darin schmökerten.
»Was halten Sie von einer Promenade durch den Botanischen Garten, Frau Mansel?«, schlug er also nach dem Frühstück vor. »Es ist ein herrlicher Tag dafür!«
Ihre Augen leuchteten auf.
»Gerne. Ich ziehe mich sogleich um!«
Er registrierte mit Genugtuung, dass sie keine Säumerin war. Kaum eine Viertelstunde später stand sie in einem brauen, rosa paspelierten Kleid vor ihm.
»Sehr adrett sehen Sie aus, Frau Mansel. Ein neuer Hut?«
»Oh nein, nein, die Schute hatte ich vergangenes Jahr schon. Aber es ergab sich noch keine Gelegenheit …«
»Sie schmeichelt Ihnen. Reichen Sie mir Ihren Arm, Madame.«
Sie schlenderten die Hohe Straße hinunter, die wie immer belebt war, überquerten den Domplatz und traten in den dahinter liegenden Park ein. Hier war es am Vormittag noch erfreulich ruhig, unter alten, hohen Bäumen führten verschlungene Wege durch blühende Beete und Rasenrabatten. Vereinzelt
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