Die Ungehorsame Historischer Roman
pflichtete ihr bei.
»Ich habe ihr auch dazu geraten. Möglicherweise brütet die Kleine etwas Ernsthaftes aus.«
»Frau Mansel, Laudanum und vor allem Morphium sind keine Arzneien, die man leichtfertig verabreichen darf. Ich möchte Sie bitten, den Kindern auf gar keinen Fall davon zu geben.«
»Ja, aber …«
»Ich wünsche, mich nicht noch einmal wiederholen zu müssen, Madame. Die Wirkung dieser Mittel mag Ihnen fremd sein, mir nicht.«
Es entging ihm der Blick, den seine Frau mit ihrer Cousine wechselte.
»Sie hat starke Schmerzen. Halten Sie es für gottgefällig, Kinder leiden zu lassen?«, widersprach sie dann mit dem erwartet trotzig vorgestreckten Kinn.
»Madame, Sie leidet unter den Traumgestalten, die das Morphium verursacht, mehr als unter den Bauchschmerzen.«
»Wir werden den Arzt zu Rate ziehen. Sie wünschen, dass ich mich um die Kinder kümmere, Herr Mansel, und ich tue es gerne. Aber Sie müssen mir auch Freiräume gestatten. Wenn der Arzt mit dem Medikament einverstanden ist, wird sie es weiterhin erhalten!«
»Sie sind außerordentlich starrköpfig, Madame. Es steht Ihnen nicht!«
»Und als was soll ich Ihr Verhalten bezeichnen, Herr Mansel?«
Er drehte sich um und verließ wortlos den Raum.
Als eine Viertelstunde später Doktor Jochum ins Haus kam, hatte Mansel seinen Gleichmut wiedergewonnen.
Er verlor ihn, als er ihnen das Untersuchungsergebnis mitteilte.
»Ich würde gerne unter vier Augen mit Ihnen sprechen, Herr Mansel«, sagte er, als er in das Wohnzimmer trat, wo sich auch Leonie und Edith aufhielten.
»Sie werden auch mir und meiner Cousine Ihre Diagnose mitteilen!«, erwiderte Leonie kühl.
»Verzeihen Sie, das ist kein Sujet für Damen.«
»Ich leite ein Entbindungsheim, Doktor, es gibt wenig, was ich nicht schon gesehen hätte!«, beschied ihn Edith kurz. »Wir bleiben.«
»Wie Sie wünschen. Es handelt sich bei dem Leiden um eine Appendizitis in einem recht fortgeschrittenen Stadium.«
»Das hatte ich befürchtet«, sagte Mansel. »Was schlagen Sie vor?«
»Es gibt zwei Möglichkeiten. Die herkömmliche Behandlung sieht Eispackungen und Diät vor, was jedoch sehr pflegeaufwändig
für einen Dienstboten ist und nicht immer erfolgreich. Die andere Möglichkeit wäre eine Therapie nach Louyer-Villermay. Ich sage Ihnen gleich, sie wird nicht von allen Kollegen gutgeheißen, aber ich denke, in diesem Fall könnte man es wagen.«
»Was schlägt diese französische Koryphäe vor, Doktor?«
»Den Leib operativ zu öffnen und das entzündete Gewebe zu entfernen!«
»Nein!«, schrie Leonie auf und drückte sich verzweifelt die Hände an den Bauch. »Nein, oh Gott! Nein, niemals!«
»Beruhige dich, Leonie, beruhige dich!«
Edith legte ihr den Arm um die Schulter.
»Nein, das darf er nicht! Sie ist doch nur ein Kind! Nein, nein, nein!«
»Madame, Sie sind hysterisch!«
»Ja, ich bin hysterisch. Ja!«
Leonie rief es so laut, dass Jette und Albert in die Tür stürzten.
»Reißen Sie sich zusammen!«, fuhr Mansel sie an. »Es geht darum, das Beste für das Kind zu tun!«
»Das sagen die Männer immer!«, schrie Leonie ihn an und fing an, völlig aufgelöst zu schluchzen. Edith flüsterte ihr etwas zu und half ihr, sich mit schleppenden Schritten aus dem Zimmer zu begeben.
»Es ist für Damenohren eben nicht geeignet, wissenschaftliche Vorgehensweisen zu erläutern«, wusste Doktor Jochum mit gewisser Genugtuung zu bemerken.
»Ersparen Sie mir derartige Kommentare, Doktor. Welche Risiken hat die vorgeschlagene Operation?«
»Nun, viel Erfahrung haben wir damit natürlich noch nicht, aber es ist erwiesen, dass etwa Frauen, bei denen ein Kaiserschnitt - ebenfalls eine chirurgische Öffnung des Bauchraumes - durchgeführt wurde, zu über fünfzig Prozent überleben.«
Hendryk Mansels Gesicht wurde hart.
»Sie wollen andeuten, das Kind habe nur eine fünfzigprozentige Überlebenschance?«
»Gott, ja, das Mädchen ist jung, und vielleicht liegt sie sogar höher. Wenn Sie der Natur den Lauf lassen, ist die Chance, dass sie stirbt, bei weitem größer. Ihnen scheint ja viel an diesem Dienstmädchen zu liegen.«
»Auch das haben Sie nicht zu kommentieren.«
»Wenn Sie mit meinen Behandlungsvorschlägen nicht einverstanden sind, sollten Sie einen Kollegen konsultieren, Herr Mansel. Mehr kann ich auch nicht dazu sagen! Wenden Sie sich an Otto Fischer vom Bürgerhospital.«
Der verschnupfte Mediziner war kaum aus der Tür, als Mansel sich auch schon auf den Weg zum
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