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Die Ungehorsame Historischer Roman

Titel: Die Ungehorsame Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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sind meine Angelegenheiten, Rittmeister. Ich bin für die Vermessung zuständig.«
    »Dann machen Sie verdammt noch mal Ihre Arbeit und stehen Sie nicht im Weg herum!«
    »Idiot!«, fluchte er leise, und dann sah er den Corporal aus der Truppe ausscheren und sein Pferd zu ihm lenken. Will der uniformierte Tollkopf mich jetzt auch verhaften?, fragte er sich und hob die Peitsche.

    »Bredow, zurück in die Linie!«, bellte der Rittmeister und ließ seine Leute wieder antraben.
    Durch die in den Boden gesteckten Markierungen.
    Extra!
    Vollidiot!
    Doch noch mehr ärgerte ihn der lange, harte Blick, den der Unteroffizier Bredow ihm von Ferne zusandte. Es lag Hass darin, unversöhnlicher Hass.
    In ausgesprochen schlechter Laune betrachtete er vom Wagen aus den angerichteten Schaden. Es würde wohl spät werden, bis er wieder in Köln war. Unwirsch wendete er, um zurück in das Kontor zu fahren und zwei Vermesser aufzutreiben, mit denen er die Strecke neu markieren wollte. Mochten die Arbeiter jetzt auch wieder ihre Schaufeln schwingen, ohne präzise Vorgaben, an welcher Stelle sie arbeiten sollten, würde alles danebengehen.
     
    Es war schon dunkel, als er endlich zu Hause ankam, und Leonie war bereits zu Bett gegangen. Leise schlich er die Treppen hoch und gab sich Mühe, sein friedlich atmendes Weib nicht zu stören. Doch für einen Moment blieb er an ihrer Seite des Bettes stehen. Das unruhige Licht der Nachtlampe huschte über ihr Gesicht, und wie schon so oft in der letzten Zeit wunderte er sich, wie er sie nur jemals als unscheinbar hatte bezeichnen können. Sie hatte klare Züge und eine samtige Haut. Leicht gewölbt lagen die Wimpern wie vergoldet auf ihren Wangen, und im Schlaf waren ihre vollen Lippen entspannt, ja sie lächelte sogar ganz leicht. Der fest geflochtene Zopf war irgendwann um Weihnachten herum verschwunden, nun fasste sie nachts die Locken nur mit einem Band im Nacken zusammen, aber ihre Nachthemden waren noch immer ganz züchtig hoch geschlossen, und ihre schönen Hände hielt sie auf der Brust gefaltet.
    Er riss sich los, um sich in seinem Ankleidezimmer für die Nacht fertig zu machen, und rutschte dann vorsichtig unter die Decken. Es war ein langer, anstrengender Tag gewesen, und der Schlaf übermannte ihn beinahe sofort.
    Bis er jäh aufwachte und seinen Bruder rufen hörte. Nein, nicht richtig rufen mit Lauten, sondern irgendwo in seinen Gedanken formte sich ein Hilfeschrei. »Wo bist du?«, fragte er auf dieselbe
Weise, und ein Bild erschien vor seinen Augen. Staubiges Gestrüpp, eine Felsgruppe, Geröll. Blut. Entsetzen packte ihn, und er rannte aus dem Zelt, nur in Hose und Hemd, doch das lange Buschmesser hielt er in der Hand. Die Nacht war kühl geworden und der Himmel sternenklar, der halbe Mond leuchtete ihm, aber mehr noch führten ihn die Rufe seines Bruders. Doch sie wurden schwächer, auch wenn er ihn wieder und wieder anflehte, durchzuhalten.
    Als er ihn schließlich fand, war kaum noch Leben in ihm. Oh Gott, was hatte man ihm angetan? Wer hatte ihm das angetan? Wer hatte ihn verstümmelt und sterbend am Geröllhang liegen lassen? Er kniete nieder, vorsichtig, ganz vorsichtig strich er ihm über die blutigen Lippen.
    »Ich bin bei dir, mein Bruder. Ich werde mich um dich kümmern.«
    »Nicht mehr kümmern. Vorbei.« Es war kein Sprechen, es waren seine letzten Gedanken. »Liebe dich. Kinder!«
    »Ja, ich werde mich um die Kinder kümmern. Ich schwöre es. Und ich liebe dich auch.«
    »Liebe sie!«
    Ein letztes Flackern seiner Seele umfing ihn, dann verhauchte sie und vereinte sich mit den Sternen hoch über ihnen. Zurück blieb ein zerbrochener Leib, der Körper eines schönen, starken, jungen Mannes.
    »Ich werde dich rächen. Ich werde für die Kinder sorgen, aber ich werde auch Rache üben, und wenn das die letzte Tat meines Lebens sein wird. Ich schwöre es bei den unendlichen Sternen, mein Bruder.«
    »Hendryk, Hendryk, wachen Sie auf!«
    Wer war dieser Hendryk, warum störte er ihn in seiner Trauer?
    Eine Hand schlug leicht auf seine Wange, und er kehrte in sein Bett zurück.
    »Sie haben einen furchtbaren Albtraum gehabt.«
    Die kühle Hand streichelte noch immer seine Wange, seine Stirn und seine Haare. Zog vorsichtig die Augenklappe wieder zurecht, die verrutscht war.
    »Leonie!«
    »Sie sind zu Hause, Hendryk.«
    »Zu Hause!«

    Er stöhnte leise. Zu Hause, das war ganz woanders, dort, wo er nicht Hendryk gerufen wurde, wo sich abends er und sein Vater und sein Bruder

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