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Die Ungehorsame Historischer Roman

Titel: Die Ungehorsame Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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in der Bibliothek die Köpfe heiß diskutierten, wo seine Mutter Rosen im Garten schnitt und sie in unzähligen Vasen verteilte, wo der zottelige Wolfshund am Kamin lag und sich gutmütig von der dicken Katze drangsalieren ließ.
    Er fasste die Hand, die ihn so zart berührte, und hielt sich daran fest, um den Schmerz verebben zu lassen. Aber dann fühlte er ihren anderen Arm, der sich unter seinen Nacken schob und ihn zu sich zog. Sein Kopf lag nun an ihrer Brust, und ihre Arme hielten ihn fest umfangen. Etwas löste sich in ihm auf, eine versteinerte, harte Kugel, und er weinte endlich um das, was er verloren hatte.
    Sie murmelte leise Worte, es war nicht wichtig, sie zu verstehen. Es tröstete. Es sprach von Verständnis und Mitleiden. Allmählich fand er seine Fassung wieder und löste sich aus ihrer Umarmung.
    »Danke, Leonie. Danke. Es war ein entsetzlicher Traum.«
    »Möchten Sie etwas trinken? Soll ich Ihnen Milch oder Tee heiß machen?«
    »Nein, Liebes. Es ist jetzt gut.«
    Er legte sich zurück und starrte an die Decke. Einen Moment lang rang er mit sich, aber dann sagte er sich, dass sie zumindest den Teil wissen musste, über den sie sicher schon oft Vermutungen angestellt hatte. Er tastete nach ihrer Hand, um es ihr zu verraten.
    »Ich habe vor sechs Jahren meinen Bruder verloren, unter furchtbaren Umständen, Leonie. Es verfolgt mich noch immer. Sie wissen, wie das ist.«
    »Ja, ich weiß es. Ursel und Lennard sind seine Kinder, nicht wahr?«
    »Ja, sie sind seine Kinder. Und ich habe ihm versprochen, mich um sie zu kümmern.«
    »Sie tun das vorbildlich.«
    »Sie auch, Leonie, und ich weiß gar nicht, wie ich Ihnen dafür danken soll. Sie ersetzen ihnen wirklich eine Mutter.«
    »Ich habe sie lieb«, hörte er sie leise sagen, dann entzog sie ihm ihre Hand und faltete sie wieder mit der anderen zusammen auf ihrer Brust. Er respektierte das und rückte ebenfalls auf seine Seite. Aber es kostete ihn beachtliche Mühe, ruhig zu werden. Denn nun wühlte
ihn nicht mehr der Albtraum auf, sondern ihre Nähe. Zum ersten Mal nach einem Jahr Ehe gestand er sich sein, dass er seine Frau unendlich begehrte.
    Doch selbstverständlich verbot es sich einem Herrn, sich einer Dame aufzudrängen, die diese Form der Annäherung nicht wünschte. Aus sehr guten Gründen.
    Trotzdem.
    Ach, verdammt!

Initiation
    EIN GAUKELSPIEL, OHNMÄCHTIGEN GEWÜRMEN
VOM MÄCHTIGEN GEGÖNNT.
    Schiller: Resignation
     
     
    Karl Lüning leckte sich die trockenen Lippen. Das Mädchen schmiegte sich an seine Seite und kicherte leise. So weit, so gut. Es hatte ihn nur drei heimliche Treffen gekostet, sie dazu zu überreden, mit ihm abends das Weinhaus am Rhein zu besuchen. Sie saßen in der warmen Dämmerung auf der Terrasse und ließen den Fluss träge vor sich dahinziehen. Bereitwillig hatte sie die kleinen Süßigkeiten genascht, die er ihr angeboten hatte, und nun musste er sie nur noch überreden, ihm in das Haus in der Budengasse zu folgen.
    Dann würde seine große Stunde anbrechen.
    Heute, heute würde es geschehen! Wenn er seine Prüfung bestand, würde er in den Kreis der Götter aufgenommen werden. Er würde seinen göttlichen Namen und die dazugehörige Gestalt annehmen und die geheimen Worte der Macht verraten bekommen.
    Ein paar gemurmelte Zärtlichkeiten, und das Mädchen erhob sich mit ihm. Sie schwankte etwas, und er stützte sie fürsorglich. Für die anderen Gäste waren sie ein verliebtes Pärchen, das sich nun auf den Weg nach Hause machte.
    Ein Anflug von Angst und Erregung durchfuhr ihn, als er an die nächsten Schritte dachte. Er würde eine Sünde begehen - in den Augen aller biederen, prüden Mitmenschen ein festgeschriebenes Verbot überschreiten, Dinge tun, die nur den Großen und Mächtigen vorbehalten waren.
    Lüning war der Sohn eines subalternen Beamten und einer strenggläubigen Mutter, die beide äußerst darauf bedacht waren, in ihrer kleinen Welt einen einwandfreien Ruf zu wahren. Dazu gehörte vor allem, sich jeglicher unpassender körperlicher Regungen zu enthalten. Von Kindheit an hatte er gelernt, dass die leibliche Hülle überwiegend ekelerregende Funktionen erfüllte, die man zu unterdrücken und, wenn nicht zu vermeiden, zu verstecken hatte. Das
war aber einem derart sündigen Menschen wie ihm nur schwer möglich, vor allem, als er allmählich die Reize des anderen Geschlechts entdeckte. Hinter vorgehaltener Hand, in heimlichen, geflüsterten Unterhaltungen, hatten andere ihm von den Freuden

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