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Die Ungehorsame Historischer Roman

Titel: Die Ungehorsame Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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gingen, war der Studiosus entlassen worden, aber Leonie hatte gebeten, weiter die Sprache lernen zu dürfen, und Hendryk hatte ihr einige Tage später Mistress Amelie Fitzgerald vorgestellt, eine derart vornehme Lady, deren mustergültige Haltung ihr die ersten Minuten ihrer Bekanntschaft beinahe die Kehle zugeschnürt hatte, was allerdings nur so lange anhielt, bis die Dame mit todernster Miene den ersten Limerick aufsagte. Seither waren ihre Stunden nicht nur überaus fruchtbar, sondern sowohl unterhaltend als auch amüsant.
    Gut, also eine englische Linie hatte Hendryk in der Verwandtschaft mit Sicherheit, aber von einem entfernten Cousin, der als Landvermesser arbeitete, war er bestimmt nicht aufgezogen worden. Dafür waren seine Manieren einfach zu geschliffen. Er war auch nicht das einzige Kind seiner Eltern, denn zumindest ein Geschwister hatte er unter schmerzlichen Umständen verloren. Ziemlich sicher waren die Zwillinge mit ihm verwandt, es ließ sich nicht leugnen. Es gab Ähnlichkeiten, je länger sie sie kannte, desto deutlicher wurden sie. Manche lagen in ihren Bewegungen, manche im Mienenspiel. Gelegentlich spekulierte sie, ob dieser verstorbene Bruder oder die verstorbene Schwester etwas damit zu tun haben könnte. Doch möglicherweise würde er ihr dazu in den nächsten Monaten mehr erzählen - wenn er denn das erledigt hatte, weshalb er diese Maske des Hendryk Mansel trug. Aber insgeheim fürchtete sie diesen Zeitpunkt, denn wenn er sie aufgab, war auch ihre Rolle zu Ende. Sie war inzwischen zu dem Schluss gelangt, er habe sie ausschließlich wegen der Kinder geheiratet. Er war ein Mensch, der Familie über alles wertschätzte, was sie ebenfalls vermuten ließ, dass er aus sehr glücklichen häuslichen Verhältnissen stammte. Es musste ihn entsetzt haben, die Zwillinge unter solch menschenunwürdigen Bedingungen vorzufinden, und er hatte umsichtig alles getan, um ihnen ein Leben in einem geschützten, kultivierten Umfeld zu ermöglichen. Im Nachhinein bewunderte sie seine Vorgehensweise. Hätte er sie sogleich von der Baumwollspinnerei in einen bürgerlichen
Haushalt gebracht und mit allen notwendigen Gütern verwöhnt, wären sie damit vollkommen überfordert gewesen. So aber hatten sie sich Schritt für Schritt über leichte Arbeiten, gute Ernährung, anregende Ausbildung auf das gehobene gesellschaftliche Niveau zubewegt, in dem sie sich vermutlich von Geburt an hätten bewegen sollen. Sein Verantwortungsgefühl ihnen gegenüber war so groß, dass er sich höchstpersönlich um ihr Wohlergehen kümmerte, und damit brauchte er eine Frau im Haus. Das sitzengebliebene, unauffällige, anspruchslose Fräulein Gutermann war da natürlich genau die Richtige.
    Die Erkenntnis tat weh.
    Seit jenem letzten Besuch in Bonn tat sie weh, denn nicht nur die Kinder hatte sie so lieb gewonnen, dass ihr Verlust eine böse Wunde reißen würde. Auch ihr Gatte hatte leider ihr Herz berührt. Wenn er sie verließe … Natürlich würde er sie verlassen, denn das war die einzige Erklärung, warum er die Ehe nicht vollzog.
    Ein sehr undamenhaftes Stimmchen meldete sich in ihrem Hinterkopf, das ihr zuflüsterte, sie könne daran möglicherweise etwas ändern. Sie befahl ihm zu schweigen. Es war aus den nur ihr und Edith bekannten Gründen nicht möglich. Sie wandte sich entschlossen wieder dem Brief zu.
    Edith schrieb über ihre Arbeit im Entbindungsheim und ihres Vaters neues Steckenpferd, das sie halb zum Wahnsinn trieb, was Leonie ihr nicht glaubte. Sven hatte den Garten als Betätigungsfeld entdeckt und werkelte bei jedem noch so schlammigen Wetter darin herum. Aber ein paar lehmige Stiefel oder staubige Hosenbeine bereiteten ihrer resoluten Cousine bestimmt keine schlaflosen Nächte.
    »Du hast Dich jetzt in Köln eingelebt und solltest auch wieder den karitativen Verpflichtungen nachkommen, liebe Leonie. Ich sehe jeden Tag so viel Elend. Du weißt, in welchen üblen Verhältnissen die Kinder in Waisenheimen und Fabriken leben. Du bist klug genug, Hilfe zu organisieren und auch darauf zu achten, dass sie an der richtigen Stelle Wirkung tut.«
    Es bedurfte weder dieser noch vorhin Sonias Mahnung, sich wieder im Bereich der Wohltätigkeit zu agieren. Sie selbst hatte schon oft darüber nachgedacht und sich Tätigkeiten überlegt. Hendryk hatte nichts dagegen, er hatte sie sogar ermuntert und ihr Nadelgeld aufgestockt.
Nur - mit Spenden war nicht immer geholfen, die richtigen Leute mussten die Dinge in die Hand nehmen.

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