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Die ungehorsame Tochter

Die ungehorsame Tochter

Titel: Die ungehorsame Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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Krätze!, dachte Dr.   Hensler und fixierte die roten Pusteln am Hals des Mannes. «Wenn Ihr also so freundlich wärt, mich einzulassen? Ich werde
     nicht stören.»
    «Das Versprechen kommt zu spät», sagte der Arzt und bemühte sich, seine Gedanken zur Ordnung zu rufen. «Aber wenn Ihr warten
     müsst, müsst Ihr eben warten. Dort!»
    Er zeigte auf einen staubigen Hocker in einer dunklen Ecke des Flurs, ging zurück in sein Behandlungszimmer und warf die Tür
     hinter sich ins Schloss.
    Er zog seinen Rock aus, warf ihn über die Lehne eines schon mit einem Bücherstapel belegten Stuhles und trat an das Schreibpult.
     Der Bürgermeister hatte es eilig? Dann würde er auch einen eiligen Bericht bekommen. Ihm war bei der Bitte des Polizeimeisters,
     er möge seinen Report über die Tote aus der Elbe recht langsam schreiben, gleich unbehaglich gewesen. Dennoch hatte er ihr
     entsprochen, Proovt hatte gewiss gute Gründe für seine Geheimnistuerei. Leider hatte es nichts genützt. Wenn der Bürgermeister
     plötzlich und umgehend nach dem Bericht verlangte, würde er Zweifel an der Zufälligkeit des Todes haben. Irgendwer hatte ihm
     etwas zugeflüstert. Fragte sich nur, wer. Vielleicht war es bloß eines dieser Gerüchte, wie sie alle Tage durch die Stadt
     liefen. Wenn sich jemand verschluckte, wurde schon drei Straßen weiter erzählt, er liege im Sterben. Ein totes Mädchen in
     der Elbe war viel unterhaltsamer, wenn es nicht einfach ins Wasser gefallen, sondern von mörderischer Hand hineingestoßen
     worden war.
    Er tauchte die Feder ein und begann zu schreiben. Es war nicht seine, sondern die Aufgabe des Polizeimeisters herauszufinden,
     was in jener Nacht tatsächlich geschehen war, seine Vermutungen gehörten nicht in den Bericht an die Obrigkeit der Stadt.
     Der Physikus hatte nur zu beschreiben, was er an dem Körper gesehen, gerochen und gefühlt hatte. Es war nicht viel Besonderes
     gewesen: die schmalen Schürfungen am Hals, eine leichte Druckstelle am linken Oberarm. Keine anderen Verletzungen, auch keine
     von einem Schlag auf den Kopf, was die Sache eindeutiger gemacht hätte. Monsieur Baur und sein Magistrat würden enttäuscht
     sein. Sie war auch nicht schwanger gewesen, was die Klatschmäuler der Stadt allerdingskaum daran hindern würde, das Gegenteil durch die Gassen zu flüstern.
    Er setzte seinen Namen unter den tatsächlich ungewöhnlich kurz geratenen Bericht, fügte «Stadtphysikus zu Altona» hinzu und
     blies die Tinte trocken. Dann rollte er den Bogen zusammen, verschnürte ihn und griff nach dem Siegellack. Ungeduldig sah
     er den roten Tropfen zu, die viel zu langsam herabfielen. «Krätze», murmelte er, «der ganze Magistrat.»
    Eilige Schritte kamen die Treppe herauf, durchquerten den engen Flur vor seiner nicht minder engen Wohnung, und schon wurde
     die Tür aufgerissen.
    «Ich hatte Euch doch um eine kleine Frist gebeten», rief Polizeimeister Proovt, «nur eine kleine Frist.»
    «Am besten, für Euch und für mich, schließt Ihr erst einmal die Tür. Hinter Euch natürlich.»
    Hensler hatte nun genug Siegellack auf das Dokument geträufelt, er drückte seinen Stempel auf und legte den Finger auf den
     Mund.
    «Der Kerl da draußen ist ein Bote aus dem Rathaus», knurrte er durch die Zähne, «Ihr müsst ihm ja nicht alles auf die Nase
     binden, schon gar nicht Eure Finten, wozu Ihr sie auch braucht. Es tut mir leid», fuhr er laut fort, «die Blattern im Zuchthaushospital
     haben mir einfach keine Zeit gelassen. Es ist unverzeihlich, ich weiß, aber so ist es nun einmal, zuerst die Kranken, dann
     die Toten. Monsieur Baur wird das verstehen. Doch nun», er hielt die Papierrolle in die Höhe und öffnete die Tür, «nun ist
     der Bericht geschrieben. Voilà! Meine Empfehlungen an den Bürgermeister», sagte er zu dem Boten, dessen Nase nicht mehr als
     ein Zoll von der Tür getrennt gewesen sein konnte. «Er ist kurz, wegen derEile, für weitere Erläuterungen stehe ich jederzeit zur Verfügung.»
    Mit einer schwungvollen Verbeugung überreichte er dem Boten das Dokument.
    «Bestimmt», sagte der, blickte missmutig auf die Versiegelung und kletterte mit steifem Hals die steile Treppe hinunter, «wenn
     Ihr nicht gerade den Kanaillen im Zuchthaus den Vorzug geben müsst.»
    «So ein unverschämter Kerl», rief der Physikus. «Was denkt der, wer er ist?»
    Das interessierte den Polizeimeister nicht im Geringsten. «War das der Bericht über Mademoiselle Hörnes Tod?», fragte er.
    

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